Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition)
Unwichtig.
Versuchen Sie, für diese Figur Ihre eigenen Schattenseiten auszuschlachten, Karl.
Die Abgründe der eigenen Seele sind die größten Inspirationsquellen. Nutzen Sie
sie. Haben Sie jemals versagt bei einem Einsatz? Sind Menschen gestorben durch Ihr
Verhalten? Haben Sie Kollegen, Freunde, Familienangehörige verraten oder belogen?
Haben Sie je Klienten belogen?
Detektiv: Nur,
wenn es der Wahrheitsfindung diente. Und wo wir gerade beim Thema Lügen sind: Sie
sagten, Welders hätte sich wieder bei Ihnen gemeldet, Jacques?
Klient: Jetzt
fangen Sie schon wieder an! Am Telefon haben Sie mir erzählt, Sie würden die Stornierung
des Auftrages akzeptieren und wollten noch mal mit mir auf den Abschied anstoßen.
Nur unter dieser Voraussetzung bin ich überhaupt gekommen!
Detektiv: Ist
ja bloß eine kleine Unstimmigkeit, sicher gleich ausgeräumt. Wann genau hat er Sie
wieder kontaktiert?
Klient: Vor
sechs Tagen. Habe ich Ihnen doch schon alles erzählt.
Detektiv: Und
wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?
Klient: Warten
Sie – das war vorgestern, natürlich. Vorgestern hatten wir unsere erste reguläre
Analysesitzung nach der unfreiwilligen Pause. Was soll diese Fragerei? Ich glaube,
ich gehe jetzt besser.
Detektiv: Seltsam.
Das ist sehr seltsam.
Klient: Was ist
daran seltsam, Karl? Und was soll dieser durchdringende Blick? Bin ich hier im Kreuzverhör?
Detektiv: Ich
hatte heute Morgen einen Anruf von einem zuverlässigen Informanten im Präsidium.
Welders ist gestern tot in seiner Wohnung aufgefunden worden. Die Obduktion ist
noch nicht abgeschlossen, aber meine Exkollegen gehen davon aus, dass er schon circa
zwei Wochen dort gelegen hat. Er muss relativ kurz nach meinem Besuch in seiner
Wohnung …
Klient: HÖREN
SIE AUF! DAS IST UNMÖGLICH! SIE BLUFFEN!
Detektiv: Warum
sollte ich? Ich gehe jede Wette ein, dass es die Placebos waren. Er war wahrscheinlich
in der nordfranzösischen Provinz, als die ersten Symptome auftraten. Wohl kein Arzt
in der Nähe, vielleicht dachte er sich: Wird schon wieder, alles halb so schlimm.
Vielleicht hatte er Angst davor, seine Kumpanen hielten ihn für ein Weichei oder
würden die Sache mit dem Spenderherz spitzkriegen, wenn er sich von ihnen ins Krankenhaus
fahren ließe. Also hieß die Parole durchhalten, hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder.
Hat es gerade noch zurück nach Darmstadt geschafft. Ich habe recht gute Kontakte
zum Rechtsmedizinischen Institut in Frankfurt, wahrscheinlich habe ich jeden Moment
einen Befund in meinem Posteingang. Warten Sie, ich schaue mal nach. (…) Jacques,
Was ist los mit Ihnen? Weinen Sie? Um Himmels willen, dass Ihnen das so nahegehen
würde, damit habe ich nicht gerechnet. Brauchen Sie ein Taschentuch? Hier, bitte
…
Klient: DAS
ALLES IST NICHT WAHR! Sagen Sie, dass es nicht wahr ist.
Detektiv: Entschuldigen
Sie, wenn ich gewusst hätte, dass er Ihnen so viel bedeutet – er ist ja Ihr Patient,
aber wenn man Sie ansieht, könnte man meinen …
Klient: Man könnte was meinen?
Detektiv: …
Sie hätten einen Angehörigen verloren.
Klient: Die
Beziehung zwischen einem Analytiker und einem Analysanden ist etwas anderes als
die zwischen einem Gebrauchtwagenhändler und seinem Kunden. Wundert Sie das? Sie
sind ein verdammter Idiot. Plaudern hier entspannt mit mir über Gott und die Welt,
um dann mit dieser Nachricht rauszurücken.
Detektiv: Entschuldigen
Sie, ich habe mich wie ein Ochse verhalten. Ich hätte Ihnen Welders’ Tod schonender
beibringen sollen. Haben Sie sich wieder etwas beruhigt? Sehr schön. Hier, trinken
Sie einen Schluck. Dieser Macallan aus Banffshire ist ideale Nervennahrung. Sie
werden Nerven brauchen. Denn da ist noch etwas. Unser Termin hier und heute … Ich
dachte, Sie könnten vielleicht …
Klient: Gott,
Karl, Sie drucksen herum wie ein Pennäler, der beim Abschreiben erwischt wurde.
Können Sie nicht einfach so und geradeheraus sagen, was Sache ist? Welche böse Überraschung
ziehen Sie noch aus dem Ärmel?
Detektiv: Sie
haben völlig recht. Entschuldigen Sie, Jacques. Ich habe gestern mit Welders’ Mutter
telefoniert, sie ist natürlich völlig verzweifelt. Habe länger mit ihr geredet,
versucht, sie ein wenig zu trösten. Dabei habe ich wahrscheinlich mehr erzählt,
als ich sollte. Ich habe ihr von der Transplantation berichtet, sie ist natürlich
aus allen Wolken gefallen. Und als ich seine Psychoanalyse erwähnte
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