Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition)
zum Abschied mal entspannt
zusammenzusitzen, ohne diesen unangenehmen Fall im Hinterkopf. Sie wirken so aufgekratzt,
Karl. Richtig ausgelassen. Haben Sie im Lotto gewonnen?
Detektiv: Viel
besser! Setzen Sie sich, Jacques. Es gibt etwas zu feiern. Warten Sie, ich schenke
uns erst mal einen feinen Bunnahabhain ein, frisch eingeflogen von den Inneren Hebriden.
(…) So, Prost, Jacques! Sitzen Sie gut?
Klient: Spannen
Sie mich nicht auf die Folter, erzählen Sie schon!
Detektiv: Diese
Lektorin, die Sie mir empfohlen haben …
Klient: Sie
haben Sie schon kontaktiert?
Detektiv: Ich
habe ein Vertragsangebot. Für mein neues Manuskript.
Klient: Sollten
wir es nicht besser ›unser‹ Manuskript nennen?
Detektiv: Ich
verspreche Ihnen, Sie in die Widmung mit aufzunehmen.
Klient: Vor
oder nach Ihrer Exfrau?
Detektiv: Spaß
beiseite. Ich habe die Dame angerufen, ihr am Telefon kurz den Plot meines Ökothrillers
skizziert. Sie wirkte recht aufgeschlossen und interessiert, hat gleich ein Exposé
und eine Leseprobe angefordert. Habe ich ihr natürlich sofort zugesendet. Und Sie
glauben es nicht: Fünf Tage später hatte ich einen Entwurf für einen Vorvertrag
im Posteingang.
Klient: Großartig. Karl,
das ist ein Lottogewinn. Dieser Erfolg belegt eindeutig die Qualität Ihrer
Arbeit. Ich freue mich für Sie. Und jetzt, da unser Fall ad acta liegt, haben Sie
endlich Zeit und Muse, all Ihre Energie und Kreativität in Ihr Manuskript zu stecken.
Detektiv: Sie
haben recht. Absolut recht.
Klient: Warum
dann so nachdenklich? Sie sollten ausgelassen feiern!
Detektiv: Dieser
Welders geht mir nicht aus dem Kopf. Warum werden Menschen Nazis, Jacques?
Klient: Oh Gott,
ich hätte es wissen müssen. Dieser Fall scheint wie Heroin für Sie zu sein. Sie
fragen den Falschen. Ich bin kein Faschismusexperte. Ich bin Analytiker.
Detektiv: Ich
frage Sie trotzdem.
Klient: Na ja,
es gibt verschiedene Erklärungsansätze. Manche meinen, es fehle an glaubwürdiger
väterlicher Autorität in der Kindheit. Andere sagen, es fehlen die Frauen als zivilisierender
Faktor. Und wieder andere sagen, es fehlen Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Und dann
gibt es noch die Biologen und Genetiker. Die behaupten, es läge alles an der DNA.
Fest einprogrammiert, von Geburt an.
Detektiv: Und
was sagen Sie?
Klient: Was
ich meine? Nun, Menschen werden Nazis aus den gleichen Gründen, aus denen sie religiös
werden. Sie suchen einfache Erklärungen für komplizierte Dinge. Die ganze Moderne,
die ganze Aufklärung ist eine furchtbar unübersichtliche und chaotische Angelegenheit.
Ständig wird relativiert, gezweifelt, diskutiert, lieb gewonnene Erkenntnisse wieder
infrage gestellt. Das ist deprimierend. Wie in der Psychoanalyse – Sie machen eine
Tür auf und entdecken dahinter wieder drei verschlossene Türen. Es gibt keine endgültigen
Wahrheiten mehr. Das halten manche Menschen nicht aus. Sie wollen die Welt einfach
und übersichtlich haben. Und ob Sie bei dieser seelischen Ausgangssituation Islamist,
Linksradikaler, Bibeltreuer, fundamentalistischer Veganer oder Nazi werden, hängt
eigentlich nur von dem sozialen Umfeld ab, in dem Sie aufwachsen. Reiner Zufall
also. Volk und Nation sind im Vergleich zwar die mit Abstand absurdesten Identitätskrücken,
aber sie scheinen manchen Menschen zu helfen. Und wenn wir schon bei den dunklen
Seiten der Menschen sind: Ich habe mir Gedanken gemacht über den Protagonisten Ihres
aktuellen Thrillermanuskriptes, diesen Vince Stark.
Detektiv: Prima!
Ich dachte schon, in Zukunft müsste ich ohne Ihren kreativen Input auskommen. Und?
Neue Ideen?
Klient: Ich
finde ihn zu eindimensional, zu positiv, zu stark, zu gut. Ihm fehlt das Ambivalente,
der Bruch in der Persönlichkeit, die dunkle, destruktive Seite. Was halten Sie davon,
ihm ein Trauma mit auf den Weg zu geben, einen Schuldkomplex. Vielleicht einen misslungenen
Einsatz in der Vergangenheit, bei dem Unschuldige durch sein Versagen ihr Leben
verloren haben.
Detektiv: Hm.
Interessante Idee.
Klient: Und
ich würde noch weiter gehen. Warum setzen wir ihn nicht auf Earl Greys Lohnliste,
machen ihn also zum korrupten Bullen, der erst durch die Liebe zu Olivia Spirelli
geläutert wird? Zu einem Mann, der eine Entscheidung treffen muss.
Detektiv: Wenn
Sie so weitermachen, muss ich Ihnen nach der Veröffentlichung einen Teil meiner
Tantiemen überweisen.
Klient:
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