Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition)
haben gerade einer der Urängste aller Männer ins Gesicht
geschaut – der Angst, eine Frau nicht auszufüllen. Erinnern Sie sich an unsere kleine
Wette? Ich habe Ihnen gerade einmal mehr bewiesen, dass auch Sie ein Unterbewusstsein
haben. Was um Himmels willen … Warum ist es auf einmal so dunkel? Ist da vielleicht
eine Sicherung rausgesprungen?
Detektiv: Ganz
ruhig. Bleiben Sie sitzen, Jacques. Da drüben in der Abstellkammer ist der Sicherungskasten,
ich taste mich mal vor.
(…)
Klient: Karl?
Detektiv: Was
ist los, Jacques?
Klient: Gott
sei Dank, Sie sind noch da. Vor einer halben Ewigkeit kündigten Sie an, den Sicherungskasten
zu suchen. Seitdem habe ich keinen Laut von Ihnen gehört.
Detektiv: Ich
bin eben ein Schleichjäger, Jacques. Eine Raubkatze.
Klient: Karl, Sie sollen diesen
verdammten Sicherungskasten nicht jagen , Sie sollen ihn einfach nur
finden. Finden, öffnen und diesen verdammten Schalter wieder umlegen. Versuchen
Sie doch nicht, aus jedem Mist großes Kino zu machen.
(…)
Klient: Karl,
verdammt noch mal! Sprechen Sie mit mir. Wo sind Sie jetzt?
Detektiv: Hier.
Klient: SCHEISSE!
Detektiv: Was
ist los, Jacques?
Klient: Ich
dachte, Sie wären da drüben auf der anderen Seite des Raumes, und plötzlich flüstern
Sie mir direkt ins Ohr! Ich hatte fast einen Herzstillstand.
Detektiv: Spüren
Sie das, Jacques?
Klient: Was soll ich spüren?
Und würden Sie bitte etwas mehr Abstand halten? Ich kann sogar Ihre
Whiskyfahne riechen.
Detektiv: Wie
die Sinne sich schärfen in der Dunkelheit. Ihr Gehör registriert plötzlich die leisesten
Geräusche, ihr Körper die schwächsten Erschütterungen, die Nase jede Spur eines
Geruches. Unser Stammhirn schaltet bei Finsternis innerhalb von Sekunden um auf
den Überlebensmodus. Das Tier in uns wird wach.
Klient: Unsinn,
wir sind hier nicht im Dschungel, sondern in Darmstadt. Warum kommt Ihre Stimme
eigentlich von links, wenn ich mich recht erinnere, ist diese Abstellkammer auf
der anderen Raumseite. VERDAMMT, KARL! WAS HALTEN SIE MIR DA AN DIE SCHLÄFE?
Detektiv: Den
besten Waffenstahl, den Southport/Connecticut zu bieten hat. Die Mündung meiner
Ruger. Können Sie sich vorstellen, was von Ihrem Akademikerschädel übrigbleibt,
wenn ich jetzt den Abzug durchziehe? Wenn Sie einen Mann erniedrigen, dann gehen
Sie nie zu weit, Jacques. Manche Grenzen sollten Sie nicht überschreiten.
Klient: Das
ist nicht witzig, Karl. Das ist Nötigung. Geben Sie es zu: Sie haben den Strom abgestellt.
Sie haben unter Ihrem Schreibtisch irgendeinen Zentralschalter. Ich durchschaue
Sie.
Detektiv: Sie
mögen im intellektuellen Duell als Sieger den Ring verlassen. Aber hier im Dschungel
stehe ich an der Spitze der Nahrungskette. Treiben Sie es also nicht zu weit, Jacques.
Reizen Sie das Raubtier nicht.
Zweites Zwischenspiel
Alfonse Antolini schloss die Tür
hinter sich ab und blieb einen Moment vor seiner Praxis im Treppenhaus stehen. Er
rekapitulierte die Sitzung mit O, Minute für Minute, mit der Präzision einer Videoaufnahme.
Schon die Begrüßung, der Händedruck, der Blick – alles war anders gewesen diesmal.
Bedeutungsvoller. Endgültiger. In dieser Sitzung hatte sich der Analytiker gefühlt
wie ein Bildhauer, der die letzten Male den Meißel an einer steinernen Skulptur
ansetzt, von Sorge darüber erfüllt, mit einem unvorsichtigen Schlag das Meisterwerk
kurz vor der Vollendung zu zerstören. Und O war sein diabolisches Meisterwerk.
Den größten
Teil der fünfzigminütigen Sitzung hatten sie schweigend verbracht. Kein angespanntes,
unangenehmes Schweigen. Eine friedliche, harmonische Stille, wie sie nur zwischen
sehr vertrauten Menschen existierte. O hatte einige Motive aus seiner Kindheit angedeutet,
Erlebnisse, die er bereits in den ersten Behandlungsstunden ausführlich geschildert
hatte. Erlebnisse, die beide in den letzten Monaten wieder und wieder aus unterschiedlichsten
Perspektiven durchgearbeitet hatten. Für Antolini waren sie längst so vertraut,
als gehörten sie zu seiner eigenen Kindheit. Aber diesmal schien O kein Interesse
daran zu haben, seine Erinnerungen erneut zusammen mit dem Analytiker zu deuten.
Er hatte sie so erwähnt, wie man einem alten Freund gegenüber die gemeinsame Vergangenheit
noch einmal beschwört. Einem Freund, von dem man Abschied nehmen muss. O nahm Abschied.
Von Antolini – und von sich selbst.
Der Analytiker
spürte, dass dies
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