Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
haben soll. Zumindest, wenn man im Prinzip arbeitsfähig ist. Arbeit stellt somit die
einzig legitime moralische Rechtfertigung für jegliche Art von Gegenleistung dar. Darunter fällt jedoch noch nicht einmal jede Form von Arbeit, sondern ausschließlich solche, die von Kapitalisten für wertvoll erachtet wird. Dies ist keine wirtschaftliche Argumentation, sondern eine moralische. Ganz offensichtlich kann man sich zahlreiche Umstände vorstellen, in denen das Problem, selbst aus der Sicht eines Wirtschaftswissenschaftlers, genau darin besteht, dass zu viel gearbeitet wird. Jedes Mal, wenn es jedoch zu einer Krise kommt, lautet die von allen Seiten verkündete Lösung: Die Leute müssen mehr arbeiten! Irgendwo da draußen gibt es mit Sicherheit jemanden, der weniger arbeitet als man selbst, beispielsweise eine behinderte Frau, die gar nicht so behindert ist, wie sie behauptet, oder französische Arbeiter, die in Rente gehen dürfen, noch bevor sie körperlich und seelisch völlig am Ende sind, faule Pförtner, Kunststudenten, Sozialhilfebetrüger und so weiter. Und das, so heißt es, sei der wahre Grund, warum es allen so schlecht gehe.
Was war doch gleich der Neoliberalismus?
In diesem Sinne verträgt sich das Fixiertsein auf Arbeit sehr gut mit dem Geist des Neoliberalismus, dessen wahres Wesen sich in seiner Spätphase immer mehr offenbart: Der Neoliberalismus könnte vor diesem Hintergrund als diejenige Form der kapitalistischen Regierungsführung beschrieben werden, die politischem Kalkül stets Vorrang vor wirtschaftlichen Erwägungen einräumt. In ideologischer Hinsicht war der Neoliberalismus daher ein voller Erfolg, wirtschaftlich gesehen jedoch eine Katastrophe. Als geistige Strömung gelang es ihm, die ganze Welt davon zu überzeugen, dass das Einzige, was wirklich zählt, das Wirtschaftswachstum sei, und das obwohl
unter seiner Ägide die realen Wachstumsraten weltweit einbrachen und vielleicht auf ein Drittel dessen sanken, was zuvor unter staatlich gesteuerten und wohlfahrtsstaatlich orientierten Formen des Kapitalismus üblich war. Der Neoliberalismus war auch gleichzeitig dasjenige System, das der ganzen Welt einredete, allein die Finanzeliten seien in der Lage, den Wert von irgendetwas zu steuern oder zu bemessen. Letztlich brachte das System dadurch eine Wirtschaftskultur hervor, die derart verantwortungslos war, dass sie zuließ, dass ebenjene Eliten die gesamte Finanzarchitektur der Weltwirtschaft zum Einsturz bringen konnten. Der Grund dafür war ihre völlige Unfähigkeit, auch nur den Wert ihrer eigenen Finanzinstrumente zu beurteilen. Aber auch dies war kein Zufall. Das Muster ist immer gleich. Man stelle sich vor, man hätte die Wahl zwischen dem politischen Ziel, soziale Bewegungen einzudämmen, und dem Bestreben, die Bevölkerung zuerst davon zu überzeugen, dass es keine tragfähige Alternative zur kapitalistischen Ordnung gibt, und dann tatsächlich eine tragfähige kapitalistische Ordnung herzustellen und am Laufen zu halten. Neoliberalismus würde bedeuten, stets erstere Option zu wählen.
Fast alle seine Behauptungen sind Lügen. Dennoch funktionieren sie erstaunlich gut. Prekarität ist eigentlich keine besonders effiziente Form der Organisation von Arbeit. Vielmehr ist es eine erstaunlich wirkungsvolle Methode zur Demobilisierung von Arbeit. Dasselbe gilt natürlich auch für die andauernde Verlängerung der Arbeitszeit. Wirtschaftlich gesehen ist dies, wenn überhaupt, kontraproduktiv (besonders, wenn man bedenkt, dass Kapitalisten ja eigentlich ihre unrechtmäßig erworbenen Gewinne an ihre Enkel vererben wollen). In politischer Hinsicht gibt es keinen besseren Weg, um zu gewährleisten, dass die Menschen weder politisch interessiert
noch politisch aktiv sind, als sie dazu zu zwingen, den ganzen Tag über entweder zu arbeiten, zur Arbeit zu pendeln oder sich in irgendeiner Form auf die Arbeit einzustimmen. Wenn jeder einen Großteil seiner wachen Stunden den Göttern der Produktivität opfert, ist automatisch sichergestellt, dass niemand eine Außenperspektive einnehmen kann. So kann natürlich auch keiner merken, dass es – um ein Beispiel zu nennen – letztlich die Produktivität vermindert, wenn man das Leben auf diese Weise organisiert. Der Neoliberalismus ist folglich besessen davon, alternative Sichtweisen auszumerzen. Als Ergebnis hiervon befinden wir uns seit der Wirtschaftskrise von 2008 in der grotesken Situation, dass einerseits jedem klar ist, dass der
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