Kampf um Strom: Mythen, Macht und Monopole (German Edition)
zusammengezimmert worden: Die EU hatte sich schon zuvor auf denselben Weg begeben. Bereits in den Jahren vor 2011 wurde in Brüssel eine Roadmap erstellt, die Ziele für eine nachhaltige Klimapolitik festschreibt. Sie führte im Dezember 2011 zu einer Vereinbarung zwischen allen 27 Mitgliedern. Im Rahmen dieser Übereinkunft verpflichtete Deutschland sich (wie alle anderen Mitgliedsländer auch), den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2050 auf 80 Prozent zu erhöhen. Außerdem sollten bis 2050 die Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent reduziert werden – ausgehend von der Menge der Emissionen im Jahr 1990. Als die Bundesregierung unter Angela Merkel im Herbst 2010 ihr Programm für die Energiewende beschloss, war sie also keineswegs allein, sondern befand sich auf EU -Kurs: Das Programm stand im Einklang mit der zu dieser Zeit noch im Entstehen begriffenen EU -Roadmap, denn die Kernpunkte des von Norbert Röttgen formulierten Konzepts sind der Ausbau der erneuerbaren Energien auf 80 Prozent und die Reduktion der Treibhausgasemissionen – beides bis zum Jahr 2050!
Warum aber streuen die Gegner dieses Umbauprozesses so hartnäckig das Gerücht, Deutschland rase auf eine Wand zu mit einer Politik, die unser Land ins Chaos stürzen wird? – Weil die großen Energieversorger weitere Kohlekraftwerke bauen wollen. Sie setzen damit auf eine bewährte Technologie. Solange der grüne Strom nicht sicher ist, solange die deutsche Politik zögert, die neuen Energieformen wirklich voranzubringen, so lange versprechen Kohlekraftwerke den Energieversorgern hohe Gewinne. Die Sache hat nur einen Haken: Schon heute ist Deutschland der mit Abstand größte Treibhausgasemittent Europas. Wenn wir in Zukunft weiter auf Kohlekraftwerke setzen, kommen wir zunehmend mit internationalen Abkommen in Konflikt – von den Schäden für die Umwelt einmal ganz abgesehen.
2. Die Zielmarke 2050: So lange im Voraus kann man doch gar nicht planen
Sobald sie verstanden haben, dass die Zielgerade im Jahr 2050 liegt, wenden Skeptiker und Gegner des Energieumbaus häufig ein, 40 Jahre seien viel zu weit weg, man könne gar nicht so lange planen. Auch bei Vorträgen und Podiumsdiskussionen werde ich oft gefragt: »Wieso soll ich mir darüber Gedanken machen, was 2050 ist? Es ist anmaßend, so lange vorausdenken zu wollen – das ist Planwirtschaft! Denken Sie doch mal 50 Jahre zurück, Frau Kemfert: Hätten Sie da sagen können, wie wir heute leben?«
Nein, das hätte ich nicht. Allerdings muss man wohl kaum erwähnen, dass nicht jede Unternehmung, nur weil sie einen Plan enthält, als Planwirtschaft gelten kann. Ich nehme diesen Einwand dennoch ernst, weil solche Bedenken von den Gegnern der erneuerbaren Energien unter anderem dazu instrumentalisiert werden, von ihrem eigentlichen Vorhaben abzulenken. Auch hier nutzen die Konzerne die Argumente für sich: Liebe Konsumenten, zerbrecht euch doch nicht den Kopf über das, was die Politik in Bezug auf die Energieversorgung gerade treibt. Warum solltet ihr euch darum sorgen, was im Jahr 2050 passiert? Mit derlei Beschwichtigungen werden hochbrisante Entscheidungen verschleiert, die jetzt getroffen werden – und die unseren Energiehaushalt für die nächsten 60 Jahre bestimmen. Fakt ist nämlich: 40 Jahre sind nicht zu weit weg, sondern wir planen jetzt für ungefähr diesen Zeitraum, für die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland bis 2050 und danach. Im Augenblick steht ein Zeitfenster offen, das sich in ca. zehn Jahren schließen wird. Sollte es den Gegnern der Energiewende gelingen, den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Umstellung unserer Stromversorgung nur um weitere zehn Jahre zu verzögern, haben sie die Schlacht für sich gewonnen – zumindest für die nächsten 40 bis 60 Jahre. Warum das so ist, will ich an folgendem Beispiel erläutern.
Nehmen wir an, ein Autofahrer kauft sich alle sechs bis acht Jahre einen neuen Wagen. Er wird immer dann, wenn sein Auto rund sechs Jahre alt ist, beginnen, sich nach einem Neuwagen umzusehen. Welche Modelle gibt es aktuell? Wie sind sie ausgestattet, was kosten sie? Sollte man bei seiner Marke bleiben oder vielleicht einmal eine andere ausprobieren? Und welcher Händler bietet die günstigsten Konditionen? In diesem Moment öffnet sich ein Zeitfenster von ein, zwei Jahren, in dem der Autohändler die Chance hat, diesem Kunden einen Neuwagen zu verkaufen. Hat er sich einmal entschieden und den Kauf getätigt, schließt sich das
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