Kampf um Strom: Mythen, Macht und Monopole (German Edition)
Zeitfenster wieder – für die nächsten sechs bis acht Jahre. – Wir erinnern uns: Da ein großer Teil des Marktes stets für eine Weile gesättigt ist, erfand die Politik vor gar nicht langer Zeit das Instrument der »Abwrackprämie«, die nicht nur wegen der künstlich geschaffenen Wertschöpfung, sondern auch für ihre Wortschöpfung viel bespottet wurde. Sie sollte Anreize schaffen, um den Absatz der Autoindustrie auf dem deutschen Markt anzukurbeln.
Ganz ähnlich verhält es sich derzeit mit der Energieversorgung: In den nächsten zehn Jahren geht in Deutschland ein Großteil der Kohlekraftwerke aus Altersgründen vom Netz. Außerdem werden alle Atomkraftwerke abgeschaltet. Zusammengenommen liefern sie rund 40 Prozent des Stroms, und dieser Anteil muss ersetzt werden – ganz gleich, aus welchen Quellen. Und egal wie laut die Politik derzeit diskutiert, im Hintergrund werden Fakten geschaffen, denn irgendwie müssen diese 40 Prozent Strom weiterhin produziert werden. Wenn die großen Energieversorger jetzt eine große Zahl neuer Kohlekraftwerke bauen, dann wird der Markt bald für die nächsten 40 bis 60 Jahre gesättigt sein. Es würde somit wirtschaftlich vollkommen unsinnig, in andere Energieformen zu investieren. – Das ist wie beim Autokauf: Sobald der neue Wagen vor der Tür steht, gibt es keinen Bedarf und auch keine Mittel mehr für ein weiteres Fahrzeug. Und jeder Versuch, diesen Kauf dann noch rückgängig zu machen, wäre mit Verlusten verbunden. Deshalb ist es für die großen Konzerne so wichtig, jetzt Kraftwerke zu bauen und die Produktivität der Ökostromanbieter so lange wie möglich zu sabotieren. Ist der Bedarf erst einmal gedeckt, wird es schwer, noch genug Befürworter für den Ausbau der erneuerbaren Energien zu gewinnen – der dann nämlich in der Tat überflüssig wäre und damit auch unnütz Geld kosten würde.
Und nun raten Sie einmal, was die Betreiber von Kohlekraftwerken tun, um ihr Ziel zu erreichen? Sie verkünden scheinheilig, eine umweltfreundliche Energiepolitik sei zwar ehrenwert und absolut zu wünschen, doch leider nicht realisierbar. Bei aller Liebe zur Umwelt, die klimafreundliche Gesellschaft müsse vorerst eine Utopie bleiben, die sich Idealisten, aber sicher nicht die Industrienationen leisten können. Noch seien die grünen Technologien nicht ausgereift genug, um eine sichere Energieversorgung zu gewährleisten. Diese Argumentation lassen sich die Konzerne von wissenschaftlichen Studien untermauern. Ein von der Deutschen Energie-Agentur (dena) im Auftrag des RWE -Konzerns erstelltes Gutachten, das am 27. August 2012 der Presse präsentiert wurde, kommt zu folgendem Ergebnis: Deutschland braucht in den kommenden Jahrzehnten unzählige neue Kohlekraftwerke. Denn, so der Tenor der Studie, das Wagnis der Ökoenergie birgt zu viele Risiken, die wir nur durch Kohlekraftwerke abfangen können – da der Ausstieg aus der Atomenergie ja nun endgültig besiegelt ist. Und selbstverständlich muss mit dem Bau so schnell wie möglich begonnen werden. – Aber stimmt das?
Kohlekraftwerke rechnen sich für ihre Betreiber, wenn sie viele Stunden im Jahr ohne Unterbrechung durchlaufen. Sie sind wenig flexibel, da sie nur schwer hoch- und runtergefahren werden können. Energiekonzerne, die auf Kohlekraft setzen, entscheiden sich damit für die bei weitem umweltschädlichste Technologie, die lediglich den Vorteil hat, dass sie kurzfristig die größten Gewinne verspricht. Gaskraftwerke sind nicht nur umweltfreundlicher, sondern können auch flexibel an- und abgeschaltet werden. Sie können deshalb gut mit den volatilen, das heißt den in den Produktionsmengen stark schwankenden grünen Energien kombiniert werden, indem sie nur dann laufen, wenn bei den erneuerbaren Energien Engpässe entstehen. Doch bisher sind Gaskraftwerke teurer als Kohlekraftwerke.
Nun könnte man einwenden: Gut, wenn nun eben die Kohlekraft am billigsten ist, dann müssen wir sie jeder teureren Energieform vorziehen – schließlich geht es um die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, die einen hohen Energieverbrauch hat, und auch um die Versorgung der Ärmsten in der Bevölkerung, denen bei steigenden Strompreisen buchstäblich kalte und dunkle Winter drohen. Dabei steckt in der Strategie der Betreiber von Kohlekraftwerken noch eine weitere Dreistigkeit, denn die Rechnung, die hier aufgemacht wird, geht gar nicht auf. Um ihre Pfründe zu sichern, haben sie bereits jetzt ihre Lobbymacht auch auf die EU
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