Kampf um Strom: Mythen, Macht und Monopole (German Edition)
in einem europäischen Strommarkt leistungsfähige Netze für den rapide zunehmenden Transport über große Entfernungen brauchen.« Anfang 2008 lag das Durchschnittsalter der Höchstspannungsmasten (380 kV) bei 32 Jahren und das der Hochspannungsmasten (220 kV) bei 50 Jahren. Ganz unabhängig von der Energiewende stellt der Netzaus- und vor allem -umbau ein eigenes, lange geplantes Vorhaben dar. Er ist deshalb nötig, weil Deutschlands Stromnetze in die Jahre gekommen sind. Teil dieses Vorhabens ist eine Netzinfrastruktur, die dem geplanten europaweiten Energiemarkt entspricht, mit kompatiblen Netzen, die über die Grenzen hinweg miteinander verknüpft sind.
Wer die Netze hat, hat die Macht
In der Blackout-Frage steckt ein energiepolitisches Desaster, bei dem die erneuerbaren Energien allenfalls eine kleine Nebenrolle spielen. Der erste Akt in der jüngeren Geschichte der Energieversorgung begann 1997. Zuvor bestanden in Deutschland seit 1935 sogenannte Gebietsmonopole. Das bedeutete, dass die Energieversorger, meist Stadtwerke, mit den Kommunen Demarkationsverträge und exklusive Konzessionen aushandelten, die für ein in den Verträgen begrenztes Gebiet galten. Auf diese Weise hatte man eine kommunale und damit dezentrale Energieversorgung mit Unternehmen von überschaubarer Größe und zugleich politischen Einfluss auf Preise und Stabilität. Doch bereits in den 1980er Jahren handelte man in der EU eine Richtlinie zur Liberalisierung der Energiewirtschaft in allen Mitgliedsstaaten aus, die für mehr Wettbewerb im Energiemarkt sorgen sollte. Diese europäische Elektrizitätsbinnenmarktsrichtlinie wurde durch ein 1997 beschlossenes Gesetz in nationales Recht umgesetzt. Es handelte sich um die Privatisierung der Energiewirtschaft, und auch ihre Initiatoren erhofften sich davon mehr Wettbewerb und niedrigere Preise für den Verbraucher. Doch diese Hoffnung trog. Das mag vor allem daran gelegen haben, dass die deutsche Regierung Spieler aufs Feld schickte und das Spiel eröffnete, ohne einen Schiedsrichter auf den Platz zu stellen. Die EU -Richtlinie sah nämlich vor, Netzbetreiber und Stromproduzenten entweder zu trennen oder aber den Netzzugang für dritte Stromanbieter staatlich zu kontrollieren, sollten sich die Netze im Besitz eines Stromproduzenten befinden. Auf diese Weise wollte man verhindern, dass große Konzerne entstehen, die durch den Besitz von Kraftwerken und Stromnetzen zu viel Macht anhäuften. Anders als die übrigen EU -Staaten setzte sich Deutschland jedoch über die Vorgaben der Richtlinie hinweg. Und so geschah, was zu befürchten war: Große Energieversorgungsunternehmen, die auch im Besitz der Netze waren, verlangten von der Konkurrenz hohe Nutzungsentgelte und konnten auf diese Weise andere Anbieter vom Markt verdrängen. Es entstand ein Oligopol von wenigen großen Energiekonzernen, die den Strommarkt unter sich aufteilten und den Wettbewerb im Keim erstickten. Von Seiten der Politik griff niemand ein, um das Geschehen zu regeln. – Im Gegenteil: Als das Kartellamt gegen die Vereinigung von Eon mit der Ruhrgas AG Bedenken anmeldete, setzte sich der damalige Wirtschaftsminister Werner Müller darüber hinweg und machte die Fusion per Ministererlass möglich. (Müller war zuvor bei einem der beteiligten Unternehmen angestellt gewesen. – Ein Schelm, wer Böses dabei denkt?) Diese Entwicklung brachte schwerwiegende Folgen mit sich: Die Strompreise sind nach wie vor hoch, weil es keinen echten Wettbewerb gibt. Zugleich wurden die Netze vernachlässigt, weil die Konzerne lieber Gewinne einstrichen, als in neue Leitungen zu investieren.
Die Energieversorgung ist der lebensnotwendige Sauerstoff jeder modernen Gesellschaft; es ist fahrlässig, sie derart unkontrolliert dem Markt zu überlassen. Und es erstaunt, dass die Politik offenbar so naiv war zu glauben, die Wirtschaft würde nicht nur eigene Interessen verfolgen, sondern sich auch für eine sichere Versorgung verantwortlich fühlen.
Auch in der EU beobachtete man kritisch, was in Deutschland passierte. Wiederholt kamen Verwarnungen aus Brüssel, und es wurde bemängelt, dass Deutschlands Wettbewerb nicht funktioniere: Neue Anbieter würden systematisch aus dem Markt verdrängt, die Verbraucherpreise seien zu hoch. Die EU beharrte auf einem Schiedsrichter, der dafür sorgen sollte, dass die Regeln des Wettbewerbs eingehalten würden. Doch erst 2005 beugte sich die deutsche Regierung dem Druck. Als 2006 die sogenannte Bundesnetzagentur
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