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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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mit seinen langen Fingern, an einem steckte ein Goldring. »Nun«, sagte er, »manches, was uns passiert, ist bedauerlich, Dell. Daran können wir nichts ändern.« Er betrachtete wieder den Schuppen, über meine Schulter hinweg. »Als ich hier herkam …« Er hielt inne, dann setzte er neu an. »Da wohnte ich in deinem kleinen Haus da. Ich stand draußen im Gras, starrte in den Himmel und stellte mir vor, ich sähe bunte Vögel und wäre in Afrika, und die Wolken wären Berge.« Sein blaues Hemd, ein gutes Hemd, fand ich, war an einigen Stellen vorn durchgeschwitzt. Seine feine beige Jacke behielt er überm Arm.
    »Er ist Amerikaner, wie Sie! Da muss er ja seltsam sein«, mischte sich plötzlich Charley ein und lachte. Er hatte den herumschwirrenden Vögeln in seinem Windradgarten zugeschaut, aber auch unauffällig zugehört. Er bewegte sich in Richtung Trailer, vor dem eine Holzkiste als Stufe lag, und als er mit seinen Gummistiefeln durchs Unkraut stampfte, flogen immer wieder Grashüpfer und kleine Vögel in hohem Bogen auf. »Ihr seid vom selben Schlag«, stellte er fest.
    »Was macht dir Spaß, Dell?« Arthur Remlingers blaue Augen hatten fast keine Farbe. Er legte den Kopf schief und steckte eine Hand in die Hosentasche, als würden wir uns jetzt richtig unterhalten. Es schien, als wollte er mit mir reden, wüsste aber nicht recht, wie.
    »Ich lese gern«, sagte ich.
    Er schürzte die Lippen und blinzelte. Das interessierte ihn offenbar. »Möchtest du gern aufs College gehen, wenn du älter bist?«
    »Ja, Sir.«
    Er trug weiche Wildlederstiefel, eins seiner Hosenbeine war hineingesteckt. Ich fand, die Schuhe sahen teuer aus. Alles an seiner Kleidung sah teuer aus, wodurch er noch weniger an diesen Ort passte. Er scharrte mit einer Stiefelspitze im Staub, dann drehte er sich um und sah zum Auto. Die Frau darin beobachtete uns. Sie winkte, aber ich winkte nicht zurück. »Du und Florence, ihr werdet euch wahrscheinlich gut verstehen«, sagte Arthur Remlinger. »Sie ist Malerin. Sie ist glühende Anhängerin der amerikanischen Nighthawk-Schule. Sie ist sehr künstlerisch veranlagt.« Er nickte. Es schien ihn zu amüsieren. »Ich habe eines ihrer Bilder in meinen Zimmern hängen. Ich zeige es dir, wenn wir uns wieder mal sehen.« Er ließ den Blick über den Ort schweifen, wo wir waren – das sonnenwarme Unkraut, die Nissenhütte, der ramponierte Wohntrailer, die Reste des Städtchens, in dem niemand wohnte. »Da, wo ich herkomme, würden sie das, was hier noch steht, gründlich niederbrennen, das sag ich dir.«
    »Warum?«, fragte ich.
    Das brachte ihn fast zum Lachen, was daran zu sehen war, dass plötzlich das Grübchen auf seinem weichen Kinn auftauchte. Aber er lachte gar nicht. »Ach, es würde sie erschrecken«, sagte er. Dann lächelte er. »Keine Möglichkeiten mehr, Erfolg zu haben. Das ist die große Angst aller Amerikaner. Sie haben sich da unten völlig unangemessen in die Geschichte verbissen.«
    »Wie lang muss ich hierbleiben?«, fragte ich. Das herauszufinden war mir am wichtigsten, deshalb musste ich danach fragen. Niemand hatte etwas dazu gesagt, ob ich nach Great Falls zurückgehen würde. Arthur Remlinger hatte meine Eltern nicht erwähnt – als wüsste er nichts von ihnen oder als wären sie unwichtig.
    »Tja«, meinte er. »Bleib so lang, wie du willst.« Er plazierte den Strohhut auf seinen Kopf. Er war bereit zu gehen. Von der Krempe des Huts hing ein Lederband, das er unter seinem Kinn festzog. Damit sah er vollkommen anders aus – ein bisschen dümmlich. »Es könnte dir hier gefallen. Vielleicht lernst du etwas.«
    »Wahrscheinlich wird es mir nicht gefallen«, sagte ich, unhöflich und undankbar vielleicht, aber wahrheitsgemäß.
    »Dann wirst du wohl Mittel und Wege finden, um wegzugehen«, sagte er. »So hast du zumindest ein Ziel.« Er ging los, auf den Buick zu. »Dell, ich freue mich sehr, dass du hier bist. Wir sehen uns bald.« Das sagte er, ohne sich umzudrehen. »Und wegen deiner Arbeit erklärt dir Charley alles.«
    »In Ordnung«, sagte ich. Da ich nicht sicher war, ob er mich gehört hatte, sagte ich es noch einmal. »In Ordnung.«
    Und das war sie schon, die Begegnung mit Arthur Remlinger. Wie gesagt, Ereignisse, die das ganze Leben verändern, sehen manchmal nicht danach aus.

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    Unsere Mutter schrieb ihr Buch, »Chronik eines Verbrechens, begangen von einem schwachen Menschen«, so als wären Berner und ich anwesend und könnten ihre Gedanken lesen, während sie sie

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