Kanada
blickte auf, um sein Gesicht zu sehen. Er war groß und gutaussehend und hatte dünne blonde Haare mit einem sorgfältigen Seitenscheitel rechts. Ich trug meinen links. Ich sagte nichts. »Sag uns doch mal, wie du heißt.«
»Dell Parsons«, sagte ich. Es war seltsam, meinen Namen hier zu hören.
Der Mann sah Charley Quarters an und lächelte. »Steht ›Dell‹ für irgendetwas anderes? Klingt ungewöhnlich.«
»Nein, Sir«, sagte ich.
»Na los, raus mit der Sprache«, sagte Charley.
»Solltet ihr nicht zu zweit sein?« Der Mann trat näher an mich heran, als müsste er mich genauer betrachten. Eine Brille mit Metallgestell hing ihm an einem Band um den Hals. Seine langen Hände waren knochig und manikürt. Er wirkte amüsiert.
»Die andere ist weggelaufen, bevor sie hier war«, sagte Charley.
»Tja, Pech«, meinte Arthur Remlinger. »Du siehst müde aus. Bist du vollkommen erschöpft?« Er fächelte sich mit dem Strohhut Luft zu.
»Ja, Sir«, sagte ich. Er hatte seinen Namen nicht gesagt. Arthur Remlinger passte als Name nicht zu seinem Aussehen. Er klang nach einem älteren Mann.
»Und du wirst gesucht, ist das deine Geschichte?« Seine Augen huschten zu Charley, dann zurück zu mir. Er wollte, dass ich mehr erzählte, aber ich fühlte mich unwohl dabei.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich. Der warme Wind brachte die silbernen Kreisel auf dem unkrautüberwucherten Gelände zum Schwirren. Sie machten beim Drehen Klickgeräusche.
»Er redet nicht gerne«, stellte Charley fest. Er wandte sich um und warf einen Blick auf die schwirrenden Dinger. Sie schienen ihn glücklich zu machen.
»Nun. Falls die kanadische Polizei hier draußen auftaucht«, entschied Arthur Remlinger, »sagst du einfach, du bist mein Neffe aus dem Osten. Die wissen nicht mal, wo Toronto liegt. Soll ich dir einen kanadischen Namen geben?«
»Nein, Sir«, sagte ich.
Er lächelte, dann verschwand das Lächeln, als sei er mit einem Mal unsicher wegen irgendetwas, das mich betraf. Er hatte ein Grübchen im Kinn, immer wenn er lächelte. Seine Haut war glatt und blass. Er sah wirklich ungewöhnlich aus. »Die gibt es eigentlich sowieso nicht«, sagte er und drehte langsam seinen Hut in den Fingern, als würde er mich mustern. Sein Blick schweifte über meine Schulter zu dem weißen Gebäude, wo ich geschlafen hatte. »Bist du in dem kleinen Haus untergebracht. Da drüben?« So sprach er – als wäre jedes Wort ganz bewusst gewählt.
Der Schweiß lief mir die Wangen herunter. Ich sah mich nach dem grässlichen Schuppen um. Dahinter stand eine Bretterhütte im Unkraut. Ich wusste, das war der Abort. Vor der Tür stand schwanzwedelnd ein großer weißer Hund. Und ein silbernes Windrad daneben, was so viel heißen sollte wie, Charley benutzte das Klo gerade. Mein Vater hatte immer Witze und Geschichten über Aborte erzählt. Da stank es, man nahm das Telefonbuch als Klopapierquelle und war nie ungestört. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal eines würde benutzen müssen. Ich wollte nicht in den Stuckschuppen zurück. »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Ich hatte …«
»Du kannst da drin alles umräumen, wie es dir gefällt. Ein paar Kisten gehören mir«, sagte Arthur Remlinger, immer noch den Hut drehend. »Da bist du nicht leicht zu finden, falls das dein Ziel ist. Da stört dich keiner.« Er rieb sich das Ohr, das groß war, mit der Handwurzel. Jetzt schien ihm unbehaglich zumute zu sein. »Fort Royal, wo ich wohne, ist gut 6 Kilometer entfernt, über die Asphaltstraße da.« Er drehte sich um und warf einen Blick zum Highway. »Richtung Osten ist das. Wir beschäftigen dich im Hotel. Bist du schon einmal allein gewesen?«
»Nein, Sir.«
»Das dachte ich mir«, sagte er. »Aber gearbeitet hast du, nehme ich an.«
»Nein, Sir.« Mir war unklar, wie viel Arthur Remlinger von mir wusste, aber ich glaubte, er wisse alles – vielleicht nicht, dass ich gern Schach spielte und mich für Bienen interessierte oder dass ich noch nie gearbeitet hatte, weil meine Mutter aus ungenannten Gründen dagegen gewesen war.
»Ist es seltsam für dich, hier zu sein?« Soeben schien ihm etwas eingefallen zu sein. Er runzelte die Stirn. Jemand wie er war mir noch nie begegnet. Mildred hatte gesagt, er sei achtunddreißig, aber sein Gesicht war das eines jungen, gutaussehenden Mannes. Zugleich wirkte er älter, von seiner Kleidung her. Er war nicht eindeutig, so wie ich es von den Menschen kannte.
»Ja, Sir.«
Er bewegte den Hut Zentimeter um Zentimeter
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