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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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Schwächling wäre; dass das Leben hier zu schwer für mich wäre; dass ich nie wieder zur Schule gehen würde. Die paar Sätze, die er an diesem Tag im Truck noch sagte, hingen alle mit den Gänsen und der Gänsejagd zusammen – und er hatte mir all das schon gesagt: dass Gänse sich vom Wind in die Höhe tragen lassen, manchmal aber auch unter ihm durchfliegen; dass sie klüger sind als Enten, obwohl es eigentlich weniger Klugheit als besserer Instinkt ist; dass Blässgänse Weizen mögen, Schneegänse dagegen nicht; dass eine Gans in einer Nacht 150 Kilometer zurücklegen kann; und dass man eigentlich keine Lockvögel brauchte – ein »fettes Farmmädel im schwarzen Kleid« würde es ebenso tun, aus der Luft gesehen. Charley sagte all das auf, als hätte es gar nichts mehr mit mir zu tun, er schien sich nur von etwas abzulenken, woran er nicht denken wollte. Und das hatte vermutlich mit den beiden Amerikanern zu tun.
    Wie meist aß ich abends in der Küche und mischte mich dann ab sieben Uhr unter die Sportsfreunde in der Bar, wie Charley mir aufgetragen hatte, hörte den Songs aus der Jukebox zu und unterhielt mich mit dem Barkeeper und dann mit Betty Arcenault, über Kalifornien, wo Berner war, und über ihren Freund, der sie angeblich brutal behandelte. Die Sportsfreunde tranken und lachten und erzählten Geschichten und rauchten Zigarren und Zigaretten. Zwei der Gruppen kamen aus Toronto, eine bestand aus Amerikanern aus Georgia. Diese Männer hatten einen ähnlichen Akzent wie mein Vater, wenn er »Dixie«-Slang redete. Auch die beiden Amerikaner aus Detroit waren jetzt in der Bar, an einem seitlich gelegenen Tisch unter dem großen Ölgemälde von zwei Elchen, deren Geweihe sich im Kampf so schlimm verhakt hatten, dass sie unmöglich wieder auseinanderkamen. Ihr Kampf bis zum Tod hieß das Bild. Darüber hing ein schwarz-weißes Schild mit der Aufschrift GOD SAVE THE QUEEN , von irgendwem beschmiert. Ich mochte das Bild gern, lieber als den tanzenden Bären im Speisesaal. Einmal sah ich, Jahre später, das gleiche Bild oder ein ganz ähnliches an einer Wand im Macdonald Hotel in Edmonton, Alberta, und saß stundenlang davor, in sein Geheimnis vertieft.
    Die beiden Amerikaner fielen auf in dem verrauchten Raum voller Jäger und Eisenbahner und Vertreter. Sie hatten sich jeder ein Bier bestellt, das die ganze Zeit neben ihnen stand. Sie hatten saubere Hemden und ordentliche Hosen an und korrekte Schnürschuhe, während die Sportsfreunde alle ihre Jägerkleidung trugen, als hätten sie vor, direkt aus der Bar in die Gänsegruben zu gehen. Außerdem wirkten die beiden Amerikaner verunsichert, vielleicht hatte Crosleys Nervosität den Älteren angesteckt. Sie sprachen nur miteinander und sahen sich ständig in der Bar um – an die Zinndecke, hinüber zur Tür ins Foyer, zur Küche und zur geschlossenen Tür, die in die Spielhöhle führte. Sie warteten auf Arthur Remlinger. Sie hatten ihm noch einmal ausrichten lassen, er solle sich bei ihnen melden, damit sie über die Gänsejagd reden konnten. Aber er war nicht erschienen – was ein wichtiges Zeichen sein konnte: dass Remlinger sich nicht beobachten lassen wollte und sich aus dem Staub gemacht hatte –, und das würde bedeuten, er war der, den sie suchten.
    Ich blieb in der Nähe der Jukebox, sah mir alles an, erwartete, dass Arthur mit großen Schritten hereinkam und wie immer die Runde machte, scherzte, einen ausgab und allen eine gute Jagd versprach – ein Verhalten, das nie so recht zu ihm gepasst hatte. Florence’ Auto stand nicht auf dem Parkplatz. Ich nahm an, dass sie weg war, nach ihrer Mutter und ihrem Laden sah. Gut möglich, dass Arthur sie nicht dahaben wollte, solange die Amerikaner hier waren.
    Ich wusste natürlich nicht, was die beiden vorhatten, sobald sie Remlinger in Augenschein genommen und ihre Schlüsse daraus gezogen hatten. Vielleicht würden sie sofort erkennen – und das wollte ich gern glauben –, dass er nicht der Bombenleger- und Mördertyp war. Woraufhin sie befriedigt nach Hause fahren und alles vergessen konnten. Wenn sie aber fanden, er sei der Mörder, wie sah ihr Plan dann aus? Es erregte mich, in der lauten Bar zu sein, wo die beiden Amerikaner mit rauchenden Köpfen saßen, ohne zu ahnen, dass ich oder ein anderer über sie Bescheid wusste, ich genoss diesen Wissensvorsprung. Alles, was hier geschah, würde auch zu einem Ergebnis führen. Das hatte Charley zwar nicht gesagt, aber er dachte eindeutig so und

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