Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
Vom Netzwerk:
nicht –, stand einem das dann für immer ins Gesicht geschrieben? Glaubten Jepps und Crosley, das sei so einfach festzustellen? Oder stand einem schon vor der Tat »Mörder« auf der Stirn? Bilder von Mördern kannte ich aus alten Wochenschauen im Kino. Meinen Vater hatten sie und ihre Abenteuer immer fasziniert. Alvin Karpis und Pretty Boy Floyd und Clyde Barrow höchstpersönlich und John Dillinger. Für mich sahen die alle wie Mörder aus. Wobei sie da ihre Morde schon begangen hatten, also kein Zweifel mehr bestehen konnte. Außerdem waren sie tot. Viele waren erschossen und eigens für das Foto hingelegt worden. Meine Eltern, fand ich, hätte man schon vor der Tat als Bankräuber erkennen können, nur meine Schwester und ich hatten nichts gemerkt, als Einzige.
    Aber als Remlingers Name durch das stille, überheizte Foyer des Leonard hallte, blieb ihr Gesichtsausdruck unverändert. Als bedeute der Name gar nichts. »Vielleicht«, sagte Jepps, mit zwei fetten Daumen die Hose nach oben über seine Wampe zerrend, »könnten Sie diesen Mr Remlinger bitten, mit meinem Freund und mir zu sprechen. Wir würden gern ein paar Gänse schießen, wenn es sich einrichten lässt. Wir kommen heute Abend in die Bar. Sagen Sie ihm einfach, er möge sich bei uns melden. Bei den beiden freundlichen Amerikanern.« Darüber mussten sie lachen – anders als Mrs Gedins.
    Die Amerikaner schlenderten dann die windige kleine Main Street entlang, unterwegs zum Chinesen. Ich rannte schnell auf die Rückseite des Leonard, auf der Suche nach einem schwarzen Chrysler New Yorker mit Nummernschild aus Michigan. Wenn sie mich zum Essen eingeladen hätten, wäre ich bestimmt mitgegangen, obwohl ich schon gegessen hatte. Ich fand es abenteuerlich, in ihrer Nähe zu sein und zu wissen, wer sie waren, ohne dass sie selbst etwas ahnten. Als wäre ich derjenige, der sich verbarg. Das erregte mich. Ich hätte sie nach ihren Plänen aushorchen können – obwohl mir ja verboten war, darüber zu sprechen, und ich im Grunde auch nicht gewusst hätte, was ich sagen sollte. Dass solche Möglichkeiten einen fünfzehnjährigen Jungen elektrisieren, kann sicher jeder nachvollziehen.
    Aber die beiden Amerikaner hatten kaum Notiz von mir genommen und gingen schnurstracks die Straße hinunter, auf das rote WU-LU -Schild zu. Ich trat auf den Bürgersteig, um ihnen nachzusehen. Jepps hatte dem Jüngeren seinen kurzen Arm um die Schulter gelegt und sofort ganz ernst geredet. »Genauso wollen wir es«, meinte ich ihn sagen zu hören, seine nasale Stimme hing in dem kalten Wind. »Gut, das weiß ich, das weiß ich«, sagte Crosley. »Aber …« Den Rest verstand ich nicht mehr, aber ich wusste ja, worum es ging. Und genau darum ging es auch.
    Auf dem unbefestigten Platz hinter dem Leonard standen die Autos der Jäger und der anderen Gäste, auch Remlingers großer rotbrauner Buick parkte da, kalt. Wind und kleine Schneeflocken trieben durch die Luft. Die Bahnanlagen fingen fünfzig Meter weiter an, jenseits einer langgezogenen Brache. Ein Weichensteller bugsierte einen roten geschlossenen Güterwagen über ein leeres Gleis, andere huschten mit ihren Laternen durch die Kälte oder sprangen auf die vorbeifahrenden Waggons. Das war eine Arbeit, die ich machen würde, dachte ich, ich arbeitete gern, und falls ich nie wieder in die Schule und auch nicht nach Winnipeg ging, wie Florence es vorhatte … Nicht jeder Plan funktionierte, wie Arthur gesagt hatte. Ich stellte fest, dass das stimmte.
    Am Ende der Reihe geparkter Autos stand der schwarze Chrysler New Yorker – ein Zweitürer, schlammig von der Autofahrt und mit grün-gelbem Nummernschild aus Michigan: »Water Wonderland«. Ich stellte mir grüngepolsterte Wälder mit ausgedehnten Seen vor, auf denen jemand – ich – mit dem Kanu paddeln konnte. Was ich noch nie gemacht hatte. Ich stellte mir vor, dass es in der Highschool bestimmt einen Bootsclub gab und die Möglichkeit, auf dem Missouri zu paddeln. Ich legte meine Hand auf die Motorhaube, und sie war warm, auch wenn die Kälte schon hineinsickerte. Dieses Auto kam aus Amerika, von dem Ort, wo es produziert worden war. Es stand für alles, was mein Vater (und ich) mit Amerika assoziierte. Schmelztiegel. Zusammenrückende Welt. Ich war für diese Werte. Meine Eltern hatten sie mir und meiner Schwester vermittelt. Wieder hatte ich das Gefühl, dass Jepps und Crosley und ihre Mission in Kanada doch eigentlich aufrichtig und anständig seien – obwohl ich ihnen

Weitere Kostenlose Bücher