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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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kamen aus Amerika, waren identifiziert und wurden erwartet. Ich hatte nicht so recht an die Geschichte geglaubt und angenommen, Charley hätte sie aus seinen eigenen fantastischen Motiven heraus erfunden, um mir Angst einzujagen. Aber die beiden Männer hatten die Namen genannt, unter denen sie angekündigt waren, und gesagt, sie seien aus der »Autostadt« hergefahren. Sie hatten gute Laune und machten gar keine Anstalten zu verbergen, wer sie waren. Offenbar kamen sie nicht auf die Idee, irgendjemand könnte sie hier erkennen oder wüsste, warum sie in Fort Royal waren. Vermutlich durchschaute sogar Mrs Gedins, wer sie waren, so dass alle Bescheid wussten, nur die Amerikaner selber nicht.
    »Wir sind unterwegs an die Westküste Kanadas«, sagte Jepps, der Ältere, der ehemalige Polizist, mit einem Lächeln. Er hatte ein rotes Gesicht und trug ein Toupet aus irgendeinem glatten schwarzen Haarmaterial, das ganz oben auf seinem runden Kopf saß und kein bisschen natürlich wirkte. Es gab ihm einen Anstrich von Dummheit, weil er klein und rundlich war, die Hose bis über den Bauch hochgezogen hatte und braune Schuhe mit hochgebogenen Spitzen trug, die so groß wie Clownsschuhe aussahen. Was sie an der Westküste vorhätten, sagte er nicht. Crosley war jünger und gepflegt, er hatte klare, scharfe Züge und kurzgeschnittene schwarze Haare. Auch er lächelte viel; aber seine Augen flitzten wach hin und her, und er hatte einen dunkleren Teint. Am kleinen Finger trug er einen Goldring, den er nervös hin und her drehte, als wäre seine Aufgeräumtheit nur gespielt. (Später, als Jepps erschossen auf dem Boden meines Schuppens lag und ich trotz meiner großen Angst mithelfen musste, ihn wegzuschaffen, konnte ich nicht anders und hob sein Toupet vom Boden auf, auch wenn es mich schauderte. Ich hatte noch nie zuvor ein Toupet gesehen, wusste aber, was es war. Es lag überraschend klein und dünn in meiner Hand, landete dann in dem Ölfass und wurde mit den Gänseeingeweiden und Federn verbrannt.)
    Crosley fragte Mrs Gedins, ob es noch etwas zu essen gebe; sie hätten seit dem Frühstück in Estavan nichts mehr bekommen. Mrs Gedins runzelte die Stirn und sagte, Mittag (sie sagte »Dinner« dazu) sei längst vorbei (es war fast drei Uhr), aber der Chinese ein Stück die Straße runter würde ihnen wohl was machen. Ich könne ihnen den Weg zeigen – das machte die beiden auf mich aufmerksam. Sie sagten, Fort Royal sei ja kein sehr großer Ort (Jepps nannte es »Gemeinde«, mit einer nasalen Stimme, die an Remlinger erinnerte) und die einzige chinesische »Wirtschaft« hier würden sie wohl finden. Detroit, sagten sie, habe ein ganzes Viertel nur für Chinesen, wo sie oft mit ihren Frauen hingingen. Und sie seien gespannt auf den Vergleich zwischen einem kanadischen Chinesen und ihrer Michigan-Variante.
    Sie fragten, ob sie ihr Gepäck im Foyer stehen lassen dürften, und erkundigten sich bei Mrs Gedins, ob man hier wohl auf Gänsejagd gehen könne. Bei ihrer Herfahrt hätten sie Tausende Gänse in der Luft beobachtet, und ab und zu sei mal eine vom Himmel runtergefallen, offensichtlich abgeschossen. Sie hätten ihre Gewehre dabei, sagte Crosley, wüssten aber noch nicht so recht. Vielleicht würden sie in den nächsten zwei Tagen etwas verabreden. Sie wollten erst einmal schauen, was man hier alles unternehmen könne – als kämen in der ersten, stürmischen Oktoberkälte Touristen nach Fort Royal, Saskatchewan. Was sie sagten, war völlig unglaubwürdig, Charley hatte sie wirklich zutreffend beschrieben.
    Mrs Gedins sagte, da müssten sie mit »Mr Remlinger« sprechen, dem das Hotel gehöre und der die Gänsejagd organisiere. Er sei heute Abend im Speisesaal und in der Bar zu finden. Es seien schon andere Jäger im Hotel. Wahrscheinlich seien für die Jagd gar keine Plätze mehr frei, es sei denn, jemand wache betrunken oder krank auf.
    Ich achtete, hinter ihnen in dem schummrigen Foyer stehend, genau auf ihre Reaktion, als Mrs Gedins den Namen »Remlinger« aussprach. Denn dafür waren sie ja gut 3000 Kilometer gereist – um ihn in Augenschein zu nehmen. Wie sie es genau anstellen wollten, sich eine Meinung über ihn zu bilden, konnte ich mir nicht vorstellen, zugeben würde Remlinger die Tat, jedenfalls laut Charley, niemals, und es wusste auch fast kein Lebender mehr davon. Ich hatte mich an diesem Tag schon gefragt: Wie sah ein Mörder wohl aus? Angenommen, man hätte einen Mord begangen – egal, ob absichtlich oder

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