Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
Vom Netzwerk:
waren verrammelt, das hatte ich zuvor erledigt.
    Ich trug immer noch die Uniformjacke meines Vaters, und Rudy sagte, er würde sie gern anprobieren. Ich zog sie aus, er zog sie an, und sie passte ihm besser als mir. Sie hatte eine unmittelbare Wirkung auf ihn. Er tigerte weiter mit seiner Zigarette und seinem Bier durch unser Wohnzimmer, aber jetzt so, als wäre er ein Offizier und unser Haus die Bühne eines Krieges, in dem er schon bald kämpfen würde.
    »Ich bin bereit, einen Haufen Kommis abzuknallen«, sagte er in einer aufgesetzten offiziellen Stimme, während er umherstolzierte. Berner sagte, sie auch. Er war natürlich betrunken. Ich fand, er sah ziemlich albern aus. Ein Teil seiner massiven Präsenz war schon verblasst – aber ich mochte ihn trotzdem. Wahrscheinlich war ich auch ein bisschen beschwipst.
    »Habt ihr irgendwelche Musik da?«, fragte Rudy und bewunderte sich in dem Rauchglas-Wandspiegel über der Couch, der schon bei unserem Einzug im Haus gewesen war.
    »Er hat ein paar Platten«, sagte Berner, sie meinte unseren Vater.
    »Ich würde gern eine hören«, sagte Rudy und stemmte die Hände in die Hüften wie General Patton auf den Fotos, die ich aus dem Buch der Welt kannte.
    Berner ging zum Grammophon, holte eine der 78er unseres Vaters aus dem Schrank und legte sie auf den Plattenteller – das hatte ich bisher nur unseren Vater tun sehen.
    Und sofort spielte Glenn Millers Band eins der Lieblingsstücke unseres Vaters, »The Little Brown Jug«. Unser Vater hatte große Achtung vor Glenn Miller, weil er im Dienst für sein Land gestorben war.
    Rudy fing an, allein herumzutanzen. Er sauste und glitt durchs Zimmer, lächelte und knickte in den Knien ein, hob die Arme und ließ sie wieder fallen und drehte sich im Kreis – Bier und Zigarette in den Händen.
    »Du musst mit mir tanzen.« Das sagte er zu mir. Er tänzelte herbei, legte die Arme um mich und zog mich von der Klavierbank hoch. Er führte mich rückwärts, wirbelte mich herum, flatterte mit den Fingern, schob und zog mich, trat mir mit seinen groben schwarzen Stiefeln auf die Füße, grinste und verströmte seinen Whiskey-Zigaretten-Geruch, und ab und zu umklammerten seine zerschrammten Hände meine Schulter oder meinen Rücken. Ich hatte noch nie getanzt. Ich hatte auch jetzt nicht das Gefühl, wirklich zu tanzen. In meiner Erinnerung hatten unsere Eltern miteinander getanzt, aber das war schon länger her. Ihr Größenunterschied machte das ziemlich schwierig. Meine Mutter mochte russisches Ballett und konnte »mitteledles Tanzballgehabe« nicht ausstehen, was zu den Talenten meines Vaters gehörte.
    Berner runzelte die Stirn über mich, Zigarette im Mund, während Rudy und ich herumwirbelten. Mir machte es Spaß. »Hör auf, mit deinem kleinen Freund herumzutanzen«, sagte sie, »tanz lieber mit deiner Freundin.«
    »Jetzt hab ich unserem kleinen Dell mal ordentlich eingeheizt«, sagte Rudy, außer Atem, aber mit wildem Grinsen. Er ließ mich los und fing an, genauso mit Berner zu tanzen, die es kein bisschen besser konnte als ich. Mir drehte sich der Kopf, etwas schlecht war mir auch. Ich setzte mich in den Sessel, wo zuvor Berner gesessen hatte, während sie vor mir herumwirbelten.
    Nach »The Little Brown Jug« kam »Stardust«, das spielte mein Vater auch oft. Berner und Rudy tanzten steif, anfangs mit einer Armlänge Abstand. Er hatte eine ernste Miene aufgesetzt, als konzentriere er sich auf seine Fußarbeit. Berner wirkte gelangweilt. Dann rückten sie näher zusammen, und es war unübersehbar, dass sie sich nicht zum ersten Mal so nahe kamen. Berners Gesicht erschien über Rudys Schulter, sie hatte die Augen geschlossen. Sie waren fast gleich groß und ähnelten sich in mancher Hinsicht – mehr als sie und ich. Sie hatten beide Sommersprossen und große Knochen. Berners weiße Tennisschuhe rutschten auf dem Teppich herum, versuchten unbeholfen, mit Rudys Stiefeln Schritt zu halten, beide hielten ihre Zigaretten in der Hand, Rudy dazu noch sein Bier. Ich nahm noch einen Schluck aus dem Evan-Williams-Fläschchen, das am Boden stand, und verspürte wieder das Brennen im Magen, aber die Nachwirkung war weniger schlimm als vorher und beruhigte mich schnell. Ich lehnte mich in dem grünen Sessel zurück und sah Berner und Rudy beim Tanzen zu – Rudy in der Uniformjacke meines Vaters und Berner an seinem Hals. Irgendwie erwartete ich, gleich würde jemand die Haustür aufbrechen und uns erwischen, wie wir rauchten und tranken

Weitere Kostenlose Bücher