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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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hatte nicht viel gesagt. Wir hatten Rudy zugesehen, als wäre er ein Tier im Käfig.
    »Wenn ich euch das sagen würde, wärt ihr Komplizen, darauf steht Gefängnis.« Er stand auf und ging zurück ins Wohnzimmer, wobei er sich den Bauch tätschelte, als hätte er ein Dreigangmenü gegessen statt ein Stück halbgefrorenes Steak. Er steckte sich eine neue Zigarette zwischen die Lippen und gab sich mit einem Streichholzheftchen Feuer, das aus derselben Brusttasche kam. Er schien nach irgendetwas zu suchen. Er erinnerte mich an meinen Vater, an dem Tag, als er von seiner Geschäftsreise zurückgekommen war. Berner und ich saßen immer noch am Tisch, als stumme Zuschauer. Wahrscheinlich hatte Rudy ein weiches Herz und hatte immer darunter gelitten, dass seine Eltern ihn nicht liebten. Er konnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Aber er wirkte unzuverlässig und sprunghaft. Wenn er nicht lächelte, sank der Mund nach innen, auf seine kleinen Zähne zu, was ihn verschlagen aussehen ließ, wie jemand, den wir nicht kennen sollten, selbst wenn wir nicht seine Komplizen waren. Rudy konnte ich mir gut als Staatsmündel vorstellen, eingesperrt in einer leeren, windzerzausten Landschaft mit Stacheldraht, wo ihm lauter schreckliche Dinge zustoßen würden und jede Flucht unmöglich war. Ich trug immer noch den Klassenring meines Vaters. Zwei sich aufbäumende goldene Mustangs. Ich wünschte, es wäre ein magischer Ring, der meinen Vater herbeizauberte, damit er all das, was mit Berner und mir geschah, wieder unter Kontrolle brachte. Dabei war er ja an allem schuld.
    »Willst du heute Nacht hierbleiben oder nicht?«, fragte Berner in schamlosem Ton – es war etwas Unerhörtes. Nichts, was man einfach sagen konnte.
    »Das ist keine gute Idee«, sagte ich.
    »Finde ich auch nicht.« Rudy inspizierte immer noch die Dinge im Wohnzimmer und nahm Berners Einladung gar nicht ernst. Bestimmt suchte er nach etwas, das er bei einem Pfandleiher in der Nähe des Stützpunktes zu Geld machen konnte. Aber wir hatten nichts im Haus, das sich verkaufen ließ. Die Uniform meines Vaters. Die Glenn-Miller-Platten. Das Metronom, das er nicht als solches erkannt hätte. Vielleicht suchte er auch nach dem Geld, das wir hatten. Nur dass er ja nichts davon wissen konnte. »Kann sein, dass einer nach mir sucht. Wär nicht gut, wenn ich hier gefunden würde.« Er schnitt ein Gesicht an meine Adresse, als wären wir einer Meinung, und steckte die Daumen unter den Gürtel.
    »Du bist doch jetzt auch hier«, sagte Berner gereizt. »Was ist der Unterschied?«
    »Keiner gekommen, das ist der Unterschied.« Er studierte wieder die Entlassungsurkunde meines Vaters, die neben Präsident Roosevelt eingerahmt an der Wand hing – genau wie der Polizist. Wenn er die Sachen haben wollte, konnte er sie mitnehmen. Ich wollte bloß, dass er weg war, bevor tatsächlich jemand kam.
    »Mein Alter hasst Roosevelt«, sagte Rudy. Er sprach den Namen mit langem »U« aus. Er drehte sich nach mir um, als wollte er meine Meinung dazu hören. »Der hat das ganze Land verscherbelt und den Bach runtergehen lassen, findet mein Alter. Und Roosevelts Frau ist Kommi, und jeder tut ihr leid, besonders die Nigger.« Das Wort hatte ich noch nicht oft gehört. Ein Junge von der Schule, dessen Vater Arzt war, benutzte es. Unser Vater hatte es noch nie gesagt. Er hasste niemanden, und wir auch nicht.
    »Bleibst du nun, oder gehst du?«, fragte Berner scharf. Sie stand auf und nahm Rudys Teller in die Hand.
    »Ich hab heut Nachtschicht«, sagte er, als wollte er alles lässig angehen. Ich dachte, er würde gleich das Roosevelt-Bild herunterholen und mitnehmen. Vom Tisch am Ende der Couch griff er sich seine Papiertüte mit dem restlichen Bier und ging zur Haustür. Draußen fuhr ein Auto vorbei und hupte. Es war nach elf. Jemand brüllte in die warme Sommernacht hinaus: »Hu-huuu. Knastbrüder. Ihr Knastbrüder. Knastbrüder. Hu-huuu.« Das Auto hupte wieder. Jemand lachte. Dann gaben sie Gas und rauschten lautstark davon.
    »Wir sehen dich nie wieder. Meinst du das?« Berner runzelte die Stirn, sie hatte immer noch Rudys Teller in der Hand. »Wär mir nur recht.«
    »Ich komme zurück, das weißt du genau«, sagte Rudy. Er wollte vor uns wie ein Erwachsener wirken. Und wieder fand ich, die roten Haare, die Zigaretten und die verschrammten Arme und Fingerknöchel waren ihm durchaus dabei behilflich. »Du und ich, wir kommen hier raus, und zwar für immer. Ein Mann, ein Wort.«
    »Du bist kein

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