Kanada
verschwundene Pistole. Dann das Geld. Nicht zu vergessen die Indianer, die bei uns angerufen hatten und vorbeigefahren waren. Vielleicht wünschte ich mir sogar ganz kurz, dass alles wahr sei – ob ich es nun hätte formulieren können oder nicht –, als hätte sich unser Vater durch diesen Bankraub etwas verschafft, das ihm vorher fehlte. Was das über unsere Mutter aussagte, war eine schwierigere Frage. Vielleicht muss man auch sagen, dass Berner und ich an diesem Nachmittag vorübergehend jenen Teil unseres Verstandes verloren, den man braucht, um völlig bewusst zu erleben, was einem passiert, während es einem passiert. Warum wären wir sonst so ruhig geworden und sogar spazieren gegangen? Warum hätte ich sonst meinen Vater für gewichtiger gehalten, nur weil er eine Bank überfallen und unser Leben zerstört hatte? Viel Sinn ergibt das nicht. Weder Berner noch ich stellten uns überhaupt die Frage, warum sie eigentlich eine Bank überfallen hatten, warum das jemals nach einer guten Idee ausgesehen hatte. Für uns war das jetzt einfach zu einer Lebenstatsache geworden.
Als wir schließlich ins Haus gingen, war es stockfinster. Mücken schwirrten durch die Luft. Motten flatterten an den Fenstern, und die Zikaden summten. Auf der Central gab es so gut wie keinen Sonntagabendverkehr mehr. Wir schlossen die Türen ab, zogen die Vorhänge zu und schalteten das Verandalicht aus. Egal was Berner glaubte, ich war davon überzeugt, dass jemand kommen und uns abholen würde – die Polizei oder Leute vom Jugendamt – und dass die Polizei das Haus durchsuchen würde. Wir beschlossen, niemanden hereinzulassen, als wären wir das Ehepaar, das dort wohnte.
Ich ging in die Küche, holte das Geld hervor und erklärte Berner, wo es herkam. Ich wusste nicht, ob sie es am Vortag wirklich gesehen hatte, tatsächlich hatte sie nichts mitbekommen. Sie fand, da es sich um Geld handele, das unsere Eltern gestohlen hätten, sollten wir es verstecken oder in die Toilette werfen. Wir zählten es am Esstisch, es waren 500 Dollar. Da änderte Berner ihre Meinung und sagte, wir sollten es aufteilen und jeder solle selbst entscheiden, was er mit seiner Hälfte anfing. Man würde uns sowieso beschuldigen, es zu haben – eben weil wir es hätten –, also sollten wir es auch behalten. Vielleicht sei ja noch mehr im Haus versteckt, und das sollten wir finden, bevor die Polizei komme. Wir gingen ins Elternschlafzimmer und suchten in der Handtasche meiner Mutter, in sämtlichen Schubladen und unter den Matratzen, im Kleiderschrank, in den Schuhen und oben auf den Regalen im Kleiderschrank, wo alte Schuhe und Pullover lagen und die Air-Force-Mütze meines Vaters. Wir fanden keine weiteren Geldpäckchen, allerdings hatte meine Mutter 30 Dollar in ihrem Portemonnaie, in gefalteten Scheinen. Wir fanden auch das, was sie ihr »jüdisches Buch« genannt hatte, ich hatte es einmal gesehen, verstand aber nichts davon. Es war klein, und drinnen stand alles in, wie sie gesagt hatte, hebräischer Schrift. Es lag in ihrer untersten Kommodenschublade, zusammen mit ein paar Babybildern von uns und einem View-Master mit einer Karte vom Taj Mahal und ihren Brillengläser-Verschreibungen und einigen Künstlermalstiften und ihren Gedichten und ihrem Tagebuch, das wir immer noch nicht zu lesen wagten. Das Buch hatte einen Namen, den ich nicht aussprechen konnte, als sie ihn einmal sagte, und fing mit H an. Ich hatte nie weiter nachgefragt. Mir fiel auf, dass es keinen Ort im ganzen Haus gab, wo jemand etwas hätte verstecken können, so dass es wirklich unauffindbar war, zudem kannte sich die Polizei damit aus, Dinge zu finden. Unser Haus hatte keinen Keller, und ich hatte immer noch wenig Lust, auf den Dachboden zu gehen. Uns fiel kein anderes Versteck mehr ein, und irgendwann stellten wir die Suche ein.
Allerdings fand ich in dem ledernen Kasten unseres Vaters – er roch nach ihm und trug das Monogramm P – seinen Highschool-Ring, klobiges Gold mit einem eckigen blauen Stein und einem kleinen eingravierten D für Demopolis, flankiert von zwei winzigen, sich aufbäumenden Pferden, die für die Mustangs standen. Er hatte mir erklärt, Demopolis heiße auf Griechisch »wo das Volk lebt« und das gefalle ihm, denn es bedeute, dass alle dort gleich gewesen seien. Ich probierte den Ring aus – er passte nur auf meinen Daumen – und beschloss, ihn zu tragen, denn schließlich bestand wenig Aussicht, dass ich mal einen eigenen bekommen würde. Seine goldenen
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