Kanada
jetzt so, dass, wenn unsere Eltern eine Bank überfallen hatten – aus welchen Gründen auch immer –, die Schuld daran allein bei ihnen lag. Das war klar genug. Rudy sagte nichts davon, dass er zu den Marines wolle oder Berner heiraten – zuvor hatten sie ja davon gesprochen.
Schließlich kam Berner mit Rudys Steak aus der Küche, sie stellte einen weißen Teller vor ihn. Messer und Gabel lagen quer darüber. Es war nur das Steak. Nichts sonst. Es sah so hart aus wie eine Schindel, und an den verkohlten Fetträndern rollte es sich nach oben. Nicht gerade appetitlich. Berner stemmte die Hände in die Hüften, verlagerte ihr Gewicht aufs linke Bein und betrachtete das Steak stirnrunzelnd, als gefalle ihr der Anblick ganz und gar nicht. »Ich habe bisher nur Suppe gekocht«, sagte sie. Sie zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich Rudy gegenüber, weiter kritisch auf das Steak blickend. Obwohl der Ventilator lief, war es heiß im Haus. Auf Berners Oberlippe stand der Schweiß. Auch Rudy schwitzte. Der Geruch nach verbranntem Steak waberte in der Luft.
»Das sieht toll aus«, sagte Rudy. Er hatte immer noch seine Zigarette im Mund. Ich dachte, jetzt würde er gleichzeitig essen und rauchen. Er schnitt mitten in das Steak hinein, kam aber nicht weit. Wir saßen beide da und beobachteten ihn. Er legte unser Messer beiseite, zog sein kleines Jagdmesser mit dem roten Griff aus der Scheide und schnitt mühelos das Steak durch.
»Perfekt«, sagte er und aß ein Stück, das offensichtlich innen drin noch gefroren war. Er kaute energisch, nachdem er seine Zigarette auf dem Tellerrand abgelegt hatte. Beim Kauen strömte Rauch aus seinen Nasenlöchern. Er trank einen Schluck Bier. Dann schnitt er noch ein Stück Steak ab, drehte sich aber in seinem Stuhl herum, bevor er es aß, und nahm das Zimmer hinter ihm in den Blick, wo wir getanzt und Whiskey getrunken hatten. Die Uniformjacke meines Vaters war auf dem Sessel, das Niagarafälle-Puzzle auf dem Kartentisch, darauf die Erdnussschalen. Der Kissenbezug mit meinen Sachen und der Koffer meiner Mutter vom Morgen lagen an derselben Stelle, wo sie den ganzen Tag gelegen hatten, seit die Polizei eingetroffen war. Rudy schien überprüfen zu wollen, ob alles unverändert war.
Er wandte sich wieder seinem Steak zu und zerteilte das Stück vor unseren Augen. Seine Stiefel scharrten über den Boden, als wäre das Essen anstrengend. Noch ein Zug an seiner Zigarette, er hob das Kinn und vollführte ein »französisches Inhalieren«, dann schob er ein kleines Stückchen Fleisch in den Mund, kaute und lächelte dabei. »Ich glaube« – er räusperte sich und schluckte –, »allein auf Trebe würden wir uns auch ziemlich gut machen. Ist jedenfalls meine Meinung.« Ich wusste nicht, was er gerade im Sinn hatte. Und ich wusste nicht, was »auf Trebe« bedeutete.
»Was denken eigentlich deine Eltern, wo du gerade bist?«, fragte Berner. »Denken die, du bist ausgerissen?«
»Kann schon sein«, sagte Rudy, wild kauend. »Wenn mich irgendwer aus dem Missouri fischen würde, kämen sie bestimmt nicht mal, um meine Leiche zu identifizieren.« Diese Worte erregten ihn offenbar, und er sprang auf, Jagdmesser in der einen Hand, Zigarette in der anderen, und vollführte drei, vier Stöße in der Luft über dem Tisch. Jedes Mal, wenn er die Faust ins Leere rammte, machte er »Ah! Ah! Ah!« und kniff die Augen zusammen, als würde er jemanden erstechen, den er hasste. Sehr eindrucksvoll war das nicht.
Er setzte sich wieder hin, schnitt noch ein Stück Steak ab und aß es, schwer atmend. Er sah mich an und grinste. Er hatte ein warmherziges Lächeln. »Willst du auch was, Dell? Schmeckt richtig lecker.« Er schob mir seinen Teller hin, Messer und Gabel inklusive. Sein Jagdmesser behielt er bei sich, falls er noch dieses oder jenes damit attackieren musste.
»Ich hab keinen Hunger«, sagte ich. Was gar nicht stimmte.
Er drehte sich um und steckte sein Messer fettig in die kleine Scheide zurück. »Ich hab mich jetzt richtig sattgegessen«, sagte er. Er hatte anderthalb Stückchen geschafft. Er wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab, dann drückte er seine Zigarette an der Schuhsohle aus, leckte den Stummel ab und steckte ihn in die Brusttasche. Er hustete, um einen Rülpser zu übertönen. »Ich könnte auf der Stelle einschlafen«, sagte er und hielt sich die Hand vor den Mund. »Muss aber Geld besorgen gehen.«
»Wo willst du das jetzt herkriegen?«, fragte Berner. Sie
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