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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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schaltete sich der Hilfssheriff ein. »Aber sie lieben Sie.«
    »Das weiß ich doch. Ich liebe sie auch«, sagte er, als wären wir nicht da.
    »Sollen wir irgendjemanden anrufen?«, fragte Berner.
    Mein Vater schüttelte den Kopf. »Damit warten wir noch ab«, sagte er. »Ich rede mit einem Anwalt. Wir müssen ziemlich bald nach North Dakota.«
    Berner sagte nichts mehr, und ich auch nicht. Ich hatte immer noch seinen Highschoolring am Finger und legte diese Hand auf den Rücken, damit wir nicht darüber redeten.
    »Ich wünschte, ich wüsste, wie ich euch Kinder jetzt glücklich machen könnte.« Unser Vater presste die Hände fest zusammen. »Aber was kann ich hier drin schon machen?«
    »Das wissen sie, Bev«, sagte der Hilfssheriff. Da hätte ich nach dem Geld fragen sollen, aber ich vergaß es.
    Ein Telefon läutete, sein schrilles Geräusch hallte zwischen den Zellen wider. Berner und ich standen noch ein paar Sekunden da. Wir wussten nicht mehr, was wir sagen sollten. Dass wir hatten kommen müssen, das wussten wir.
    Der Hilfssheriff legte eine Hand auf meinen Arm, die andere auf Berners, und führte uns langsam weg. Er wusste, wie das alles ging.
    »Auf Wiedersehen«, sagte Berner.
    »Also gut«, sagte mein Vater.
    »Auf Wiedersehen«, sagte ich.
    »Also gut, Dell. Mein Sohn«, sagte er. Die Antwort mit der Bank blieb er uns schuldig.

37
    Die Zelle unserer Mutter lag am äußersten Ende der Reihe unbeleuchteter Zellen und war nicht anders als die unseres Vaters, nur hing an dem Gitter ein weißes Metallschild an einer dünnen Metallkette. Darauf stand in roter Druckschrift SUIZID . Auf dem Weg erklärte uns der Hilfssheriff, sie hätten keine besondere Abteilung für »die Mädchen«. Das County könne nur für eine gewisse Abgeschiedenheit sorgen.
    Unsere Mutter saß auf einer Pritsche, ähnlich der in der Zelle unseres Vaters, aber ihre Matratze war nicht aufgerissen, und die Füllung fiel nicht in Klumpen heraus. Sie saß neben einer anderen Frau, sie sprachen leise. In der Zelle gab es eine zweite Pritsche. Die Toilette war auch nicht so fleckig und verdreckt wie bei unserem Vater.
    »Ihre Kinder kommen Sie besuchen, Neeva«, sagte der Hilfssheriff mit zuversichtlicher Stimme. Er schob uns voran, dann lehnte er sich an die Wand, so dass wir fast mit ihr allein waren. »Geht nur«, sagte er. »Sie freut sich, euch zu sehen.«
    »Ach du lieber Gott«, sagte meine Mutter und stand sofort auf. Sie hielt ihre Brille in der Hand. Als sie an die Gitterstäbe trat, setzte sie sie auf. Sie sah klein aus. Ihre Haut war fleckig. Ihre Nasenspitze war rot. Sie trug weiße Tennisschuhe ohne Schnürsenkel und ein lockeres dunkelgrünes Kleid, das vorn mit weißen Knöpfen geschlossen war, ohne Gürtel. Darunter schien sie keine Brüste zu haben. Ihre Augen hinter der Brille spähten uns weit aufgerissen entgegen. Sie lächelte uns an, so als kämen wir ihr seltsam vor. Natürlich gingen meine Augen zu dem SUIZID -Schild. Das bezog ich auf die andere Frau. »Warum seid ihr hierhergekommen?«, sagte sie. »Ich hatte doch gesagt, ihr sollt auf Mildred warten.«
    »Wir wussten nicht, wohin wir sonst gehen sollten. Wir sind einfach hergekommen«, sagte Berner. »Wir haben Dad gesehen. Viel hat er nicht gesagt.«
    Unsere Mutter streckte ihre Hände durch das Gitter. Ich hatte noch nicht Hallo gesagt, aber ich hielt ihre rechte Hand und Berner die linke. Sie wirkte noch erschöpfter als bei dem Gespräch, das wir vorletzte Nacht in meinem Zimmer geführt hatten. Mir fiel auf, dass sie ihren Ehering abgenommen hatte, was mich verblüffte. Die andere Frau trug das gleiche grüne Kleid, die gleichen Tennisschuhe. Sie war groß und untersetzt. Selbst im Sitzen wirkte sie so. Sie stand von der Pritsche auf, wo sie gesessen hatten, legte sich auf die andere und drehte ihr Gesicht zur Wand. Mit einem Ächzen machte sie es sich bequem.
    »Wir haben euch ein paar Toilettenartikel mitgebracht, aber die geben sie euch nicht«, sagte Berner. »Wir dachten, du wärst zusammen mit Dad.«
    »Okay«, sagte unsere Mutter, hielt immer noch unsere Hände und sah uns lächelnd an. Sie sprach nicht sehr laut. »Ich fühle mich sehr leicht hier drin. Ist das nicht merkwürdig?«
    »Ja«, sagte ich. Ihre Stimme klang normal, so als hätte sie einfach herauskommen und herumlaufen und mit uns reden können. Es war ein größerer Schock, sie hier zu sehen – schlimmer als der Anblick unseres Vaters, der im Gefängnis nicht fehl am Platz wirkte. Ich

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