Kanada
fühlte mich allerdings ausgeschlossen und gar nicht leicht. Ich fragte mich, wo ihr Ehering wohl war, wollte sie aber nicht drauf ansprechen.
»Wann wirst du rauskommen?«, fragte Berner herrisch. Sie weinte und versuchte, nicht zu weinen.
»Ich habe einen kleinen Moment der Schwäche hinter mir«, sagte unsere Mutter. »Ich redete gerade mit meiner Freundin darüber.« Sie sah sich nach der massigen Frau um, die mit dem Gesicht zur Wand schwer atmete und einen Fuß auf den anderen gelegt hatte. »Ich habe versucht, euch beide anzurufen«, fuhr sie fort. »Ich durfte nur einen Anruf machen. Ihr seid nicht drangegangen. Wahrscheinlich wart ihr irgendwo draußen unterwegs.« Sie blinzelte uns zu, hinter ihrer Brille hervor. Ein süßer Geruch ging von ihr aus, der Geruch, den sie immer gehabt hatte. Der saubere Stärkegeruch ihrer Haftkleidung hing auch in der Luft.
»Was soll jetzt mit uns passieren?«, fragte Berner, die Tränen strömten ihr übers Gesicht, den Mund hielt sie zusammengepresst, das Kinn zitterte. Draußen, vor dem Gefängnis, waren Autos zu hören. Eine Hupe ertönte. Draußen war so nah. Ich wollte nicht, dass Berner weinte. Das half kein bisschen.
»Wo sollen wir hin?«, fragte ich. Ich dachte an Miss Remlinger, die zu unserem Haus kommen würde, um uns abzuholen.
»Das werdet ihr sehen. Es wird eine Überraschung. Es wird wunderbar.« Unsere Mutter lächelte durch die Gitterstäbe und nickte. »Ich rette euch beide. Mildred wird kommen. Ich bin erstaunt, dass sie noch nicht da war.«
Ein junger Mann in einem gelbbraunen Anzug kam mit Aktentasche durch die beiden vergitterten Türen herein, ein anderer Hilfssheriff sperrte ihm auf. Er kam auf uns zu, blieb aber an der Zelle unseres Vaters stehen. Eine der Hände meines Vaters kam hervor, der Mann packte und schüttelte sie. Mein Vater lachte und sagte: »O-kay, o-kay.« Als ich diesen Mann mit ihm sprechen sah, wurde mir klar, dass meine Eltern jetzt weniger miteinander zu tun hatten. Vielleicht fühlte sich meine Mutter deshalb leicht. Etwas war jetzt weg. Eine Last.
»Meint ihr nicht, ihr solltet nach Hause gehen, Kinder?«, sagte meine Mutter durchs Gitter. Ein Strahl Vormittagssonne schien hinab in ihre Zelle. Sie ließ unsere Hände los und lächelte. Wir waren kaum zwei Minuten dort. Wir hatten nichts von Bedeutung gesagt. Ich weiß nicht, was wir erwartet hatten.
»Liebst du uns nicht?«, fragte Berner und kämpfte mit den Tränen. Ich sah sie an und nahm ihre Hand. Alles schien sie in Verzweiflung zu stürzen.
»Doch, natürlich«, sagte unsere Mutter. »Darüber braucht ihr euch keine Sorgen zu machen. Darauf könnt ihr euch verlassen.« Sie streckte eine kleine Hand aus, um Berners Gesicht zu berühren, aber Berner kam nicht näher heran. Unsere Mutter ließ ihre Hand in der Luft schweben.
»Wirst du Selbstmord begehen?«, fragte ich. Das rote Schild hing direkt vor uns. Ich konnte es nicht ignorieren. Ich hatte dieses Wort noch nie zu meiner Mutter gesagt.
»Natürlich nicht.« Sie schüttelte den Kopf. Sie wandte den Blick ab, zu den Fenstern hinter uns. Das war eine Lüge. Sie tat es später, im Zuchthaus von North Dakota. Wahrscheinlich hatte sie schon an diesem Tag im Gefängnis davon gesprochen. »Ich hab euch ja gesagt«, meinte sie, »meine schwachen Momente hatte ich.«
Der Mann im gelbbraunen Anzug, der mit unserem Vater gesprochen hatte, sagte: »Na schön. Bleiben Sie einfach hier sitzen. Ich geh und rede jetzt mit Ihrer besseren Hälfte.« Seine Aktentasche schnappte zu. Er hatte einige Papiere herausgeholt und sie meinen Vater unterschreiben lassen.
»Sie kann mich vor ein Bundesgericht zerren.« Die Stimme meines Vaters hallte durch den Korridor.
»Garantiert. Da ist sie nicht die Einzige.« Der junge Mann lachte und kam auf uns zu, seine Stiefel knallten mit harten Schlägen auf den Betonboden.
Der Hilfssheriff trat von hinten zu Berner und mir und sagte: »Da kommt der Anwalt eurer Eltern, Leute. Wir sollten ihn in Ruhe mit eurer Mom reden lassen. Kommt ruhig wieder und besucht sie noch mal. Ich lasse euch rein.«
Berner sah zu dem näherkommenden Mann hin und hörte sofort auf zu weinen. Unsere Mutter lächelte uns beide an. Sie hatte Tränen in den Augen. Das habe ich gesehen.
»Ich habe beschlossen, dass ich etwas aufschreiben werde.« Sie nickte mir zu, als müsste mir das gefallen.
»Was denn?«, fragte ich. Der Hilfssheriff legte mir die Hand auf die Schulter und zog mich weg.
»Ich weiß noch
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