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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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bereiterklärt hatte, den Gefängnisaufseher abzugeben. Ich erwartete, Bishop und den anderen rotgesichtigen Polizisten zu begegnen und dass sie uns wiedererkennen und mit uns reden würden. Aber sie waren nirgendwo, was das Gefühl, dort zu sein, noch seltsamer machte.
    Nachdem der Gefängnisaufseher – der seinen Namen nicht nannte – die Beutel genommen und uns aufgefordert hatte, die Hosentaschen umzukrempeln und ihn in unsere Schuhe schauen zu lassen, ging er wieder in sein Büro und kam mit einem großen Schlüssel zurück. Mit einem weiteren, kleineren öffnete er die Tür, durch die er gekommen war und auf der ZELLENBLOCK stand, und führte uns hindurch. Hinter der Metalltür war der Boden blassgelb gestrichen und fühlte sich viel härter und kälter durch die Schuhe an als unser Boden zu Hause. Meine Schuhsohlen schienen daran festzukleben. So empfand wahrscheinlich jeder, der eingesperrt war – dass das Gefängnis zu genau dem entgegengesetzten Zweck existierte wie das eigene Zuhause.
    Berner und ich hatten auf dem Weg zum Gefängnis darüber gesprochen, was wir zu unseren Eltern sagen wollten. Aber sobald wir drinnen waren und die Gittertür hinter dem Schreibtisch des Hilfssheriffs mit dem großen Schlüssel geöffnet wurde, sagten wir nichts mehr. Berner räusperte sich mehrfach und leckte sich über die Lippen. Sie bereute wohl gerade, hergekommen zu sein.
    Hinter der ersten Gittertür befand sich ein Raum, der gerade für uns drei ausreichte, dann kam noch eine Gittertür, was jeden Ausbruch unmöglich machte. Drinnen roch es nach demselben Desinfektionsmittel, dazu kamen aber noch Essensgerüche und vielleicht Urin, wie auf der Jungentoilette in der Schule. Das Geräusch vom Aufschließen der Tür hallte in dem Betonkorridor wider. Ein schwarzer Schlauch lag zusammengerollt unter einem Wasserhahn an der langen Wand, und der Boden war feucht und glänzend.
    Niemand war entlang der Zellenreihe zu sehen. Irgendwo sprach eine Männerstimme – nicht die meines Vaters – am Telefon. Draußen, vor den hohen vergitterten Fenstern gegenüber der Zellenreihe, wurde ein Basketball gedribbelt, man hörte Füße scharren. Jemand – ein Mann – lachte, und der Ball prallte von einem metallenen Korbbrett ab, genau wie im Park, als Rudy und ich diesen Sommer gespielt hatten. Abgesehen von dem wässriggrünen Licht, das von draußen hereinsickerte, kam das einzige Licht hier von den Birnen, die hoch oben an der Betondecke hingen, geschützt von Drahtkörben, die kaum Licht durchließen. Man kam sich vor wie in einer düsteren Höhle. Ich fand es aufregend, wobei das Gefühl deutlich dadurch gemindert wurde, dass unsere Eltern hier drinsaßen.
    »Heute haben wir nicht viele Gäste«, sagte der verkrüppelte Hilfssheriff, als er uns durch die zweite Gittertür ließ und sie hinter sich verschloss. Er war unbewaffnet. »Am Montag früh reisen die meisten wieder ab. Sie haben genug von unserer Gastfreundschaft. Aber normalerweise sehen wir sie alle wieder.« Er war fröhlich. Ein kleines rotes Transistorradio stand auf seinem Schreibtisch, und ich konnte Elvis Presley leise singen hören. »Eurer Dad ist natürlich eine echte Kanone.« Er führte uns durch den Betonkorridor, der in dem Gemisch aus grünem Licht und Schatten schillerte. Die ersten Zellen, an denen wir vorbeikamen, waren leer und dunkel. »Wir rechnen nicht damit, dass eure Eltern allzu lange bei uns bleiben«, sagte er, während sein nachgeschleiftes Bein klickte. In seinem linken Ohr war auch ein Hörgerät zu sehen. »Mittwoch oder Donnerstag kommen sie nach North Dakota.«
    Dann blieben wir plötzlich vor einer Zelle stehen, und da war unser Vater, der im Halbdunkel auf einer Metallpritsche saß, auf einer bloßen Matratze, aus der die weiße Füllung in Klumpen auf den Beton gefallen war. Irgendetwas ließ mich annehmen, er hätte sie selber aufgeschnitten.
    »Ihr Kinder solltet nicht hier sein«, sagte unser Vater laut, als hätte er gewusst, dass wir kamen. Er stand von der Pritsche auf. Ich konnte ihn nicht sehr gut sehen – vor allem nicht sein Gesicht –, aber mir fiel auf, wie er sich über die Lippen leckte, als wären sie trocken. Seine Augen waren weiter aufgerissen als sonst. Berner war schon ein paar Schritte weitergegangen und hatte ihn offensichtlich nicht bemerkt. Doch als sie seine Stimme hörte, sagte sie: »Oh, Entschuldigung«, und kam zurück.
    »Ich habe mich einfach zu sehr auf die Regierung verlassen, das ist mein

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