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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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großes Problem«, sagte er, so als hätte er das schon mal zu jemand anders gesagt. Er kam nicht näher an die Gitterstäbe heran. Ich wusste nicht, was er meinte. Auf seinem Gesicht lag ein besorgter, erschöpfter Ausdruck, und er wirkte hagerer, obwohl es erst einen Tag her war, dass wir alle zusammen daheim gesessen hatten. Seine Augen waren gerötet und flitzten hin und her, wie immer, wenn er jemanden suchte, dem er gefallen konnte. »Ich habe nie daran gedacht, jemanden umzubringen, falls das von Interesse ist«, sagte er. »Obwohl ich es gekonnt hätte.«
    Er sah uns an, dann setzte er sich wieder auf seine Pritsche und stieß seine Fäuste zwischen den Knien leicht aneinander, als zeige er demonstrativ Geduld. Er war genauso gekleidet wie in dem Moment, als die Polizei kam. Jeans und weißes Hemd. Sein Schlangengürtel war ihm abgenommen worden, ebenso seine Stiefel. Er saß nur in seinen schmutzigen Socken da. Seine Haare waren ungekämmt, er war unrasiert, und seine Haut sah grau aus – haargenau wie auf seinem Bild in der Zeitung.
    Da überkam mich ein Gefühl der Ruhe. Anders, als man erwarten würde. Ich fühlte mich sicher bei ihm, da, wo er war. Ich wollte ihn nach dem Geld fragen. Wo es herkam.
    »Wir haben euch Toilettensachen mitgebracht, aber wir dürfen sie euch nicht geben«, sagte Berner mit einer unbeholfenen, viel höheren Stimme als sonst. Sie hielt die Hände auf dem Rücken. Sie wollte die Gitterstäbe nicht berühren.
    »Ich habe schon eine Toilette hier drin.« Unser Vater blickte zur Seite, auf eine Art Toilettenstuhl ohne Deckel, der eklig aussah und roch. Er rieb sich ein Handgelenk, dann das andere, und leckte sich wieder über die Lippen, als wüsste er gar nicht, dass er es tat. Er rieb sich die Wangen, presste die Augen zu und schlug sie wieder auf.
    »Wann werden sie euch rauslassen?«, fragte ich. Ich dachte daran, wie Berner sie als Lügner bezeichnet hatte, und konnte mich jetzt auch an andere Dinge erinnern. North Dakota. Seinen blauen Fliegeroverall.
    »Was sagst du, mein Junge?« Er lächelte schwach.
    »Wann werden sie euch nach Hause lassen?«, fragte ich laut.
    »Eines Tages wahrscheinlich«, sagte er. Es schien ihn nicht zu interessieren. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar, wie er es am Samstag im Auto gemacht hatte. »Regt euch bloß nicht darüber auf. Seid ihr nicht bald so weit, in die Schule zu gehen?«
    »Ja, sind wir«, sagte ich. Er schien zu glauben, er wäre schon länger im Gefängnis, als er es tatsächlich war.
    »Habt ihr Schach gespielt, du und Berner?« Mit ihr hatte er noch gar nicht gesprochen.
    »Wo ist Mutter?«, fragte sie abrupt. Wir hatten angenommen, sie wären in derselben Gefängniszelle. Dann sagte sie: »Habt ihr wirklich eine Bank überfallen?«
    »Sie ist irgendwo hier drinnen.« Unser Vater deutete mit dem Daumen auf die Zellenwand, als wäre unsere Mutter dahinter. »Sie redet nicht mehr mit mir«, sagte er. »Ich kann’s ihr nicht verdenken.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe meine Sache nicht besonders gut gemacht. Ich hoffe, das hier kommt euch beiden nicht normal vor.« Er beantwortete Berners zweite Frage nicht, die zu dem Banküberfall. Ich hätte es mir gewünscht, weil ich noch wusste, wie er vor Jahren gesagt hatte: »Ich könnt’s mal versuchen.«
    »Tut es nicht«, sagte Berner.
    Er lächelte uns aus dem Halbdunkel heraus an. Man sollte meinen, wenn man seinen Vater im Gefängnis besucht, hätte man ihm viele Dinge zu sagen. Berner hatte vorgehabt zu fragen, ob sie irgendetwas brauchten, ob wir jemanden anrufen sollten und wer das wäre. Seine Familie? Einen Anwalt? Die Schule unserer Mutter? All das, was ich zu fühlen erwartet hatte, fühlte ich nicht. Das Gefängnis brachte alles zum Stillstand – wozu es ja auch da war.
    »Wir sollten jetzt mal weitergehen und eure Mutter besuchen«, sagte der Hilfssheriff hinter uns. Am Ende der Zellenreihe spielte immer noch sein Radio. Er sah, dass wir nichts mehr zu sagen hatten, und wollte niemanden in eine peinliche Lage bringen. Draußen vor den hohen vergitterten Fenstern hatte jemand angefangen zu reden. Der Basketball prallte einmal auf, dann nicht mehr. »Da oben, gaaaanz da oben ist so ein Satellit«, sagte eine Männerstimme. »Sagt wer?«, antwortete eine andere. Der Ball prallte wieder auf.
    »Das Gefängnis ist kein Ort für euch Kinder«, sagte unser Vater wieder und schaute irgendwie besorgt zu uns heraus. Eine Ader auf seiner Stirn war sichtbar.
    »Das stimmt«,

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