Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)
dem sich das Boot kaum wahrnehmbar bewegte.
Er kniff die Augen zusammen und stellte sich vor, wie sie hier gelegen hatten, die Neger, Marder, Biber, Molche und Hechte – all die Kleinst-U-Boote des Zweiten Weltkrieges, die bis in die letzten Kriegstage viele Männer das Leben gekostet hatten. Allerdings stand nicht fest, dass unter der tiefen Betondecke wirklich Boote gelegen hatten, denn es war, wie er im Gutsarchiv gelesen hatte, kein U-Boot-Bunker im eigentlichen Sinne, sondern nur ein Unterstand, bereits im Ersten Weltkrieg an dieser Stelle errichtet.
Er hatte alles gelesen, was sein Vater an Unterlagen dazu gehortet hatte, und alles, was es im Gutsarchiv dazu gab. Ein halbes Jahr lang hatte er sich in alles versenkt, was ihm zum Thema U-Bootbau, -antrieb und -funktion in die Finger gekommen war. In den Osterferien, als keiner seiner Freunde Zeit gehabt hatte, ihn auf dem Gutshof zu besuchen, hatte er sich stundenlang im Bunker verkrochen. Niemand hatte ihn gestört. Er hatte Ruhe gehabt, alles auszuprobieren. Die ersten Tauchgänge hatte er aber erst zusammen mit Tom und Cyrano im Juni unternommen, als die Mädchen noch nicht da gewesen waren. Cyrano war der perfekte Kaleu. Sein Vater besaß einen Hubschrauber, den er gelegentlich selber flog. Cyrano hatte ihn oft begleitet. Er verfügte über die nötige Coolness auch in unübersichtlichen Situationen.
Das Boot, die Deep-Water-Super-Challenge, war ein ausgemustertes Forschungs-U-Boot. Ein amerikanischer Milliardär hatte es bei einem kalifornischen U-Boot-Freak in Auftrag gegeben. Dieser hatte ein paar Jahre daran herumgetüftelt, bis es seetauglich war: ein U-Boot-Leichtgewicht – dazu geeignet, von einem Schiff transportiert und zu Wasser gelassen zu werden, von Laien ebenso leicht zu navigieren wie von Meeresforschern. Ein praktisches, kleines Ding, vollgestopft mit Hightech, das aber jeder mit einigermaßen wachem Verstand bedienen konnte. Sein Vater hatte es in Monterey an der Pier liegen sehen und sofort gekauft. Schließlich besaß er diesen alten U-Boot-Unterstand, der bis dahin leer gestanden hatte.
Das U-Boot war acht Meter lang und konnte fünf Personen aufnehmen. Es war verdammt eng, die Beine schliefen einem ein, wenn man längere Zeit darin hockte. Es hatte einen Batterieantrieb, der bis zu vierundzwanzig Stunden Betriebsdauer ermöglichte. Und es schaffte locker eine Tiefe von vierhundert Metern. Aber das Beste war, dass es zwei Greifarme besaß, die über Bildschirm zu steuern waren. Auf diese Weise konnte man alles, was man vom Meeresgrund aufheben wollte, in einen Fangkorb unter dem Rumpf legen, um es zu transportieren. Das hatte sie überhaupt erst auf die Idee zu ihrem Projekt gebracht.
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S ie saß, das Netbook auf den Knien, im Sessel und klickte sich durch die Bilddateien. Die Stuten, der Hengst, die Einjährigen, die neuen Fohlen. Es war Zeit, ein wenig Ordnung in das Chaos auf der Festplatte zu bringen. Da, auf diesem Foto, war sie selbst zu sehen, wie sie Toledo, den Dreijährigen, longierte. Erst im Juni war das gewesen. Sie hatte vergnügt ausgesehen, jung, verliebt, glücklich. Jon hatte das Foto gemacht, er hatte am Rand des Reitplatzes gestanden und fotografiert. Hunderte Fotos vom Reitplatz, von den Koppeln, den Pferden, den Wolken, den Stallungen, von ihr. Er hatte ständig alles fotografiert und ihr die Fotos überspielt, als sie mit ihren Laptops nebeneinander im Archivraum gesessen hatten.
Die Sache mit seinen Vorfahren war eine schöne Geschichte gewesen, die sie der Welt hatten erzählen können. Eine perfekte Geschichte. Sie hatten die alten Kartons durchgesehen, vergilbte Register, zerbröselnde Papiere, angenagt vom Zahn der Zeit und vom Tintenfraß. Sie hatte ihm die Sachen vorlesen müssen, denn von der alten Schrift hatte er keine Ahnung gehabt. Er wollte die Schrift gar nicht lernen, hatte dafür angeblich kein Talent. Für andere Dinge hingegen umso mehr.
Sie lächelte. Das Archiv war eine gute Ausrede gewesen, um ihn für ein paar Wochen in ihrer Nähe zu haben. In diesen wenigen Wochen zu Beginn des Sommers hatte sie sich so gut gefühlt, so leicht und unbeschwert, auch wenn es reiner Nervenkitzel gewesen war, ihren Geliebten bei sich zu haben, während sich ihr Mann wenige Zimmer weiter nur für seine Geschäfte interessierte. Die Fotos waren der Beweis, wie gut es ihr gegangen war.
Wie hatte sie eigentlich ausgesehen, als sie sich zum ersten Mal trafen? Auf dem Empfang der Nordischen Botschaften
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