Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)
hatte begonnen, alle Fragen stenoartig auf einem Block zu notieren. »Diesen Punkten gehen wir nach.«
»Jon Theissen, der ja immerhin auch schon dreiunddreißig Jahre alt war, soll ein auffällig gutes Verhältnis zu dem verschwundenen Pferdemädchen Lissy Heinke gehabt haben. Die beiden sind zum Missfallen der Gutsherrin zusammen ausgeritten. Jedenfalls gab es da mal großen Ärger wegen einem der Pferde. Warum durfte dieser Feriengast überhaupt die edlen Rösser hier reiten?«
Unauffällig ließ Island die Augen durch den Wagen wandern. Ihr war schon wieder flau im Magen. Manchmal hatte Hans-Hagen in seinem Bus etwas zu essen deponiert. Obst oder Kekse oder eines der geschmierten Brote von seiner Frau. Alles wäre ihr jetzt recht.
»Was ist mit den Telefondaten von Theissen? Hatte er Kontakt zu Cord Petersen?«, fragte sie.
»Wir sind dran. Gerade knöpfen sich Dutzen, Taulow und Nissen noch mal die Angestellten vor«, sagte Franzen. »Gibt es noch weitere Verdächtige aus deiner Sicht?«
Island schüttelte den Kopf. Sie dachte an Klaus Stark, den Hauptmeister aus Achterwehr. Wenn der von der geheimen Verehrung seiner Frau für den Benutzer des Amtsarchives gewusst hatte, hätte auch er ein Motiv. Aber sie ließ diesen Gedanken fallen. Das war vielleicht etwas zu weit hergeholt.
»Was hattest du denn für einen Eindruck von Cord Petersen?«, fragte Henna Franzen.
»Ich habe ihn das erste Mal gesehen, als er hinten an der Mauer bei der Gärtnerei saß und Gras geraucht hat«, sagte Island. »Dann hat mir meine Tischnachbarin erzählt, dass vor Kurzem irgendwo auf dem Gelände eine versteckte Hanfplantage in einem Maisfeld entdeckt worden war. Vielleicht hatte Petersen ein Drogenproblem. Ich könnte mir vorstellen, dass er gedealt hat. Tüx soll seinen Leuten nur sehr wenig Lohn bezahlen. Und auf dem Hof gibt es viele junge Leute, die bestimmt Interesse daran hätten, ein bisschen Dope zu kaufen. Und zwar weniger die Pferdemädchen als vielmehr die Freunde von diesem Jüngelchen, Paul-Walter, dem Sohn des Hauses. Das sind alles Schüler von einem Schweizer Eliteinternat. Die nutzen doch die Ferien bestimmt, um aus dem Vollen zu schöpfen.«
»Wieso bauen sie auf diesem Hof überhaupt Mais an?«, fragte Franzen nachdenklich. »Ich dachte, die züchten Pferde und Ökoobst.«
Island zuckte die Achseln. »Vielleicht brauchen sie Mais für ihre Biogasanlage?«
»Haben sie denn eine? Ich habe jedenfalls noch keine gesehen.«
Franzen kannte sich in landwirtschaftlichen Angelegenheiten aus, denn ihr Onkel besaß einen Bauernhof an der Westküste. Dort arbeitete sie gelegentlich in ihrer Freizeit.
Hungrig sah Island zu, wie der letzte Bissen von Franzens Brot in ihrem Mund verschwand.
»Gibt’s hier zufällig noch was zu essen?«
Franzen deutete unter den Tisch. »In der Kühltasche ist Hans-Hagens Frühstücksdose«, sagte sie. »Er hat bestimmt nichts dagegen, wenn du dir was nimmst. Macht gerade Diät und nervt alle mit dem Gejammer über seinen Bierbauch. Ich sag es ihm nachher, dass du ihn vor ein paar Kalorien gerettet hast.«
Island zog die Tasche hervor und nahm eine Plastikdose heraus. Darin lagen drei Vollkornbrötchen mit Krabbensalat. Sie nahm sich eines und biss hinein. Ihre Stimmung verbesserte sich augenblicklich.
Franzen dagegen verzog leicht angeekelt den Mund. »Krabbensalat. Pfui Teufel. Ein Salat aus getöteten Lebewesen.«
Aber das war Island momentan wirklich egal.
»Schmeckt saugut«, sagte sie und kaute mit vollen Backen. »Hast du was über Lissy Heinke herausgefunden?«
»Frau Heinke, zwanzig Jahre alt, saß ein Jahr lang in Vechta in Niedersachsen im Jugendstrafvollzug, und zwar wegen Raubes. Sie hat zusammen mit einer Mädchengang Leute abgezogen. Handys, Geld, das übliche Programm. Dabei hätte Lissy solche Überfälle überhaupt nicht nötig gehabt. Ihre Eltern sind wohlhabend, der Vater besitzt eine Spedition in Hamburg. Nach der Scheidung der Eltern vor ein paar Jahren ist das Mädchen aber offensichtlich auf die schiefe Bahn geraten. Irgendein Verwandter der Mutter hat dafür gesorgt, dass sie nach der Haftentlassung auf dem Gestüt von Rubi-Tüx eine Chance bekommt und hier eine Ausbildung zur Pferdewirtin machen darf. Sie soll sehr gut mit den Tieren umgehen.«
»Gibt es Hinweise, wo sie sich aufhalten könnte?«
»Sie hat sich nach ihrem Verschwinden weder bei ihrer Mutter noch bei ihrem Vater gemeldet. Besorgt schien keiner der beiden Eltern darüber zu sein. Sie
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