Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)
Ofen ein?
Leise ging Island die Treppe hinunter. Der Rauchgeruch wurde noch stärker. Sie gelangte in einen Salon mit apricotfarbenen Seidentapeten und einem Roulettetisch. In der einen Ecke des Zimmers stand ein alter Kachelofen, der bis zur Decke reichte. Island berührte ihn, aber er war kalt. Eine Tür führte in einen weiteren Raum mit Parkettboden und antiken Stühlen, die wie in einem Tanzsaal an den Seitenwänden aufgereiht standen. An der Längsseite befand sich ein offener Kamin. Unter dem Sims stieg eine dünne Rauchsäule empor, die sich träge unter der Stuckdecke verwirbelte. Wahrscheinlich gab es ein Problem mit dem Rauchabzug, weil irgendetwas den Schornstein verstopfte. Auf dem Rost im Kamin lagen ein paar glimmende Stücke Holz und verkohlte Papierstücke.
Island kniete nieder und betrachtete die schwarzen, verbrannten Fetzen. Ohne sie zu berühren, versuchte sie die Buchstaben zu entziffern. Die Handschrift war etwas ungelenk, aber deutlich zu lesen. »1 Million Euro«, las sie, und »bis morgen« und »sonst auf youtube«. Sie starrte auf die Schriftzeichen. War das ein Erpresserschreiben, oder konnte man den Text auch anders interpretieren? Vorsichtig zog sie ihr Handy aus der Tasche und machte, so gut es ging, ein paar Fotoaufnahmen. Dann kramte sie ein Taschentuch hervor, löschte damit die restlichen Glutfunken und bugsierte die verkohlten Papierreste in die Plastikhülle der Taschentuchverpackung. Das war sicher nicht die geschickteste Art, ein Beweisstück zu sichern, trotzdem verstaute sie das Ganze vorsichtig in ihrer Handtasche.
Plötzlich hörte sie Schritte.
38
S ie sah sich um. Dieses ganze schlossartige Gebäude war so groß, dass man sich locker darin verlaufen konnte. Wieder die Schritte. Sie kamen von oben, vom unbenutzten Gästezimmer. Jemand ging über den Dielenboden und kam die Treppe herunter.
Island stand noch immer vor dem Kamin. Sie hätte einfach stehen bleiben und warten können. Aber sie hatte keine plausible Erklärung parat, warum sie mit verrußten Fingern vor einem verloschenen Kamin in einem Zimmer stand, in dem sie wirklich nichts zu suchen hatte. In der Hoffnung, durch irgendeinen Flur entwischen zu können, öffnete sie eine Tür neben dem Kamin. Es schloss sich eine Flucht weiterer salonartiger Räume an, die durch weit offen stehende Flügeltüren verbunden waren. So leise und so schnell wie möglich lief sie weiter.
Das erste Zimmer, durch das sie kam, war ein Schlafzimmer. Möbelstücke und Gegenstände strahlten in einem fast überirdischen Weiß, nur auf den Fensterbänken standen blassblaue Lilien in mattgelben Vasen.
An das Schlafzimmer grenzte ein großes Zimmer, das man in einen Kraftraum umfunktioniert hatte. Die Geräte darin hätten einem noblen Fitnessclub alle Ehre gemacht. Große Flachbildschirme an den Wänden zeigten in tonlosen Endlosschleifen exotische Wasserfälle und kalbende Gletscher.
Dahinter befand sich ein leerer Saal mit Spiegelwand und Ballettstange, von dem ein gigantischer Badebereich abging. Allein der Whirlpool in der Mitte des Raumes schien die Größe eines Feuerlöschteiches zu haben. Um ihn herum waren Wärmebänke, Massage- und Solariumsliegen aufgestellt. Nebenan gab es eine Sauna, und wenn man im Pool lag, konnte man durch die großen Fenster der Sauna hindurch bis auf das Torhaus sehen.
Während Island noch den Wellnesstempel bestaunte, hörte sie im Schlafzimmer jemand mit hochhackigen Absätzen über das Parkett laufen. Instinktiv ging sie hinter der Bank in Deckung und stützte sich mit dem Rücken an der Wand ab. Die Schritte hatten jetzt den Kraftraum erreicht. Island duckte sich noch tiefer. Während sie die Wand nach einer Fluchtmöglichkeit absuchte, fielen ihre Augen auf eine Art Riss in der Wand, der sich als kaum sichtbare, in die Wand eingelassene Tür entpuppte. Sie zog sie auf und blickte in einen dunklen Gang.
Vorsichtig schlüpfte sie hinein und zog die Tür leise hinter sich zu. Draußen waberte auf einmal Loungemusik durch den Raum, während der Whirlpool leise zu blubbern begann. Durch den Türspalt sah sie Stefanie Rubi-Tüx, die ihren blütenweißen Bademantel abstreifte, in den Pool kletterte und ihren gebräunten Körper ins Wasser gleiten ließ. In den nächsten Minuten passierte nichts, außer dass die Musik spielte und der Pool gluckste. Bald taten Island vom langen Herumstehen die Füße weh, weshalb sie beschloss, sich weiter in den Gang hineinzuwagen – in der Hoffnung, vielleicht
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