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Kandide oder die beste aller Welten

Kandide oder die beste aller Welten

Titel: Kandide oder die beste aller Welten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ekz.bibliotheksservice GmbH
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Frauenzimmer beinahe in einem Nu von vier Soldaten angepackt.
    Mein Hauptmann hatte mich hinter sich versteckt und säbelte alles nieder, was sich zwischen ihn und seinen Grimm stellte. In kurzem sah' ich unsre Italienerinnen und meine Mutter von denen Ungeheuern zerrissen, zerhauen, zerfetzt, die sich um ihren Besitz herumkämpften. Gefangne und Gefangennehmer, Soldaten und Matrosen, Schwarze und Weiße und Mulatten, alles, alles wurde niedergemacht, endlich mein Hauptmann auch, und ich blieb sterbend auf einem Haufen von Toten liegen.
    Solcherlei Szenen wurden bekanntermaßen in einem Bezirk von mehr denn dreihundert Meilen gespielt, ohne daß man deshalb die fünf Gebete vergaß, die Mahomet täglich zu beten befohlen hat.
    Es ward mir sehr sauer, mich unter der Menge aufeinandergeschichteter blutiger Leichname hervorzuarbeiten. Ich schleppte mich nach einem großen Pomeranzenbaum, der am Rande eines nahen Bachs stand. Entsetzen und Müdigkeit, Verzweiflung und Hunger hatten mich so erschöpft, daß ich sogleich umsank und bald darauf einschlummerte.
    Es war mehr Ohnmacht als Schlaf, worin ich mich befand. In diesem Mittelzustand zwischen Leben und Tod, in dieser Art von Hinbrüten mocht' ich eine Weile gelegen haben, als ich eine Last auf mir liegen fühlte, und mein Körper Erschüttrungen bekam. Ich blickte auf und ward einen wohlgebildeten jungen weißen Mann gewahr. Er seufzte und murmelte zwischen den Zähnen: O che sciagura d'essere senza coglioni .

Zwölftes Kapitel: Wie übel es der Alten weiter erging
    Erstaunt und entzückt, meine Muttersprache zu hören, und über die eben vernommene Rede nicht wenig verwundert erwiderte ich, daß es noch größers Unglück gäbe, als das sei, worüber er sich beklagte. Mit einem paar Worten erzählt' ich ihm alle das gräßliche Elend, dessen Opfer ich gewesen, und sank wieder in Ohnmacht. Er trug mich in ein benachbartes Haus, legte mich in ein Bette, brachte mich wieder zu mir, erquickte mich, ließ mirs nicht an Wartung und Trost abgehn, und an Schmeicheleien; sagte, er habe nie auf Gottes Erdboden ein schöners Geschöpf gesehn als mich, und seinen unersetzbaren Verlust nie so stark betrauert als jetzt.
    Ich bin aus Neapel bürtig, sagte er, wo jahraus jahrein zwei- bis dreitausend Knaben kapaunt werden. Einige sterben, andre erhalten Stimmen, die an Schönheit die weiblichen übertreffen, noch andre gehn aus in alle Lande und werden ans Staatsruder gesetzt. Ich ward mit dem günstigsten Erfolge kastriert und sodann Kapellsänger bei Ihro Durchlaucht, der Fürstin von Palestrina.
    Bei meiner Mutter, schrie ich! Bei Ihrer Frau Mutter! rief er, und Tränen schössen über seine Wangen. So wären Sie die junge Prinzessin Aurora, die ich bis ins sechste Jahr erzogen, bei der damals all' die Reize in der Knospe lagen, die ich bei Ihnen in so voller, schimmernder Blüte sehe! Sind Sie's denn wirklich! „Wirklich! und meine Mutter liegt vierhundert Schritt von hier unter einem Haufen von Toten gevierteilt!" Ich erzählt' ihm all' meine Begebnisse, und er mir die seinigen, er sagte mir, eine gewisse christliche Macht hab' ihn nach Marokko gesandt, um mit diesem Monarchen einen Traktat zu schließen, mittelst dessen man ihm Pulver, Kanonen und Schiffe zu liefern versprach, damit er um so leichter dem Handel der übrigen christlichen Mächte den Garaus machen könnte. Mein Auftrag ist beendigt, sagte der ehrsame Kastrat zu mir, ich schiffe mich zu Ceuta ein und bringe Sie nach Italien zurück. Ma che sciagura d'essere senza coglioni!
    Ich vergoß Tränen des innigsten Danks für all' das, was er an mir getan hatte und noch tun wollte. Er brachte mich nicht nach Italien, sondern nach Algier, und verkaufte mich an den dortigen Dei. Kaum war ich verkauft, als die Pest, die nachher Afrika, Asien und Europa durchzogen hat, in Algier zu toben begann. Erdbeben haben Sie schon gesehn, doch die Pest wohl nie gehabt, Baroneß? Nie, antwortete Kunegunde. Sonst würden Sie mir einräumen müssen, daß Erdbeben, dagegen gerechnet, gar nichts sagen will. In Afrika ist sie gang und gäbe; sie verschonte mich auch nicht. Stellen Sie sich nun die Lage vor, worin sich die fünfzehnjährige Tochter eines Papsts befand! In einem Vierteljahre hatte sie Geliebten verloren und Freiheit, war fast täglich geschändet worden, hatte immer Hungertod und Kriegsgetümmel vor Augen gehabt und sollte jetzt an der Pest sterben.
    Ich kam demungeachtet glücklich davon, allein mein Kastrat ging drauf, und

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