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Kandide oder die beste aller Welten

Kandide oder die beste aller Welten

Titel: Kandide oder die beste aller Welten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ekz.bibliotheksservice GmbH
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der Dei und fast der ganze algierische Serail. Als diese fürchterliche Pest eine kleine Pause gemacht, wurden die Sklaven des Deis verkauft. Ein Kaufmann erhandelte mich und nahm mich nach Tunis, wo er mich einem seiner Kollegen überließ, dieser verkaufte mich nach Tripolis, von Tripolis wurd' ich nach Alexandrien verkauft, von Alexandrien nach Smyrna, von Smyrna nach Konstantinopel.
    Nunmehr befand ich mich in den Händen eines Janitscharenführers, der bald darauf Befehl erhielt, dem von den Russen belagerten Assow zum Entsatz zu kommen. Dieser Janitschar war ein überaus galanter Mann; er nahm alle seine Kebsdamen mit, logierte uns in eine kleine Schanze, dicht am See Tana, die von zwei schwarzen Verschnittnen und zwanzig Soldaten bedeckt wurde. Die Russen stürzten anfänglich hin wie die Fliegen; bald aber kehrte sich das Blatt. Assow ging über, wurde mit Feuer und Schwert verwüstet; bei den Überwindern galt kein Ansehn des Alters noch Geschlechts.
    Unsre kleine Schanze hielt sich noch; die Feinde beschlossen, sie auszuhungern. Die zwanzig Janitscharen hatten geschworen, sich nie zu ergeben. Der äußerste nagendste Hunger nötigte sie, unsre beiden Verschnittnen aufzufressen, damit sie ihren Schwur nicht zu brechen brauchten. Nach Verlauf etlicher Tage beschlossen sie, es mit uns ebenso zu machen.
    Wir hatten aber einen gar frommen Iman bei uns, einen recht barmherzigen Samariter, der hielt eine gar herrliche Predigt, wodurch sie andern Sinnes wurden. Umbringen müßt ihr die Weiber nicht, sagte er, aber jeglicher von ihnen den halben Hinterbacken ablösen, das laß ich gelten; auf die Art werdet ihr Essen die Fülle haben; gebricht's euch wieder an Proviant, nun so wißt ihr ja, wo eure Vorratskammer liegt. Ihr könnt sodann mit Zuversicht hoffen, daß euch Allah wegen einer solchen Barmherzigkeit nicht ohne Beistand lassen wird.
    Da dieser Priester ein guter Schwadronör war, so drang er durch, und man nahm die grausame Operation vor. Der Iman bestrich uns in eigner Person mit Beschneidungsbalsam. Wir waren allesamt todsterbenskrank.
    Kaum hatten die Janitscharen die Mahlzeit hinter, die wir ihnen verschafften, so waren die Russen in flachen Fahrzeugen da und stürmten die Schanze. Kein Janitschar blieb am Leben. Uns schleppten die Sieger mit, ohne sich um unsern Zustand im mindesten zu kümmern.
    Französische Wundärzte findet man allenthalben. Sonach hatten sie einen in
der
Kunst gar wohlerfahrnen Franzmann bei sich, der nahm uns in die Kur und heilte uns glücklich. Er suchte uns dadurch zu trösten, daß dergleichen Kriegsgebrauch wäre und sich schon bei vielen Belagrungen ereignet hätte. Wie meine Wunden völlig zugeheilt waren, verlangt' er von mir Minnesold. Ich werde den Antrag in meinem Leben nicht vergessen.
    Als meine Gespielinnen gehn konnten, mußten sie nach Moskau wandern. Ich fiel einem Bojaren zuteil, der mich zu seiner Gärtnerin machte und mir täglich zwanzig Hiebe mit der Knute gab. Allein nach zwei Jahren wurde dieser Herr mit dreißig andern Bojaren gerädert, weil sie am Hofe ein gar hübsches Rührei gemacht hatten.
    Diese Begebenheit benutzt' ich, wipste davon, durchstrich ganz Rußland, war lange Zeit zu Riga Aufwärterin in einem Wirtshause, bekleidete den Posten auch zu Rostock, Wismar Leipzig, Kassel, Utrecht, Leiden, Haag, Rotterdam, ward im Elend und in der Schande alt und grau; schleppte allenthalben meinen halben Hintern mit herum, und die Erinnerung, daß ich die Tochter eines Papsts sei. Hundertmal war ich Willens, mich zu töten, aber immer siegte die Liebe zum Leben.
    Diese lächerliche Schwäche ist eine unsrer unseligsten Triebe. Kann man sich wohl etwas Törichters denken als ein Geschöpf, das eine Last immer mit sich herumschleppt, die es gern alle Augenblicke von sich werfen möchte? Das sein Dasein verabscheut und doch platterdings nicht daran will, ihm ein Ende zu machen? Kurz das eine Schlange hätschelt, die immer in ihm fortnagt, bis sie ihm das Herz abgefressen hat.
    In all' den Ländern, wohin mich das Schicksal getrieben, und in allen Wirtshäusern, wo ich Aufwärterin gewesen, hab' ich Personen die Menge gefunden, die ihr Dasein verfluchten, aber nur ein Dutzend gesehn, die ihrem Elende ein freiwilliges Ende machten. Das waren drei Mohren, vier Engländer, vier Genfer und ein Leipziger Professor, Namens Robeck.
    Mein letzter Dienst war bei dem Juden Don Isaschar. Ich lernte ihn vor zwei Jahren in Rotterdam kennen, wo er in dem Gasthofe logierte,

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