Kann denn Fado fade sein?
Abschiedstournee zur Familie. Das wird wohl noch mal ziemlich hart. Zwar unterstützen mich alle, freuen sich für mich und meinen neuen Lebensabschnitt. Ich habe bei Mutter und Schwester all jene Gerichte bestellt, die ich liebe. Die koche ich zwar in Deutschland selten selbst – aber ich bin mir sicher: In Portugal werde ich sie sofort vermissen!
Noch fünf Tage.
Endlich passiert etwas: Die Warterei ist gleich vorbei.
Ich sitze auf gepackten Koffern und Taschen, gleich kommen die Jungs von der Spedition. Das große Abenteuer beginnt. Jetzt geht es endgültig los: aus Deutschlands wildem Südwesten in Europas wilden Südwesten.
Zweieinhalbtausend Kilometer liegen vor mir. Plus die knapp vierhundert, die ich noch nach Bayern fahren muss, um mich von meinen Lieben zu verabschieden.
Noch vier Tage.
Ich bin bei meiner Familie in Bayern. Genieße es noch einmal, verwöhnt zu werden. Freue mich über gute Wünsche. Bin mir sicher: Ich werde die alte Heimat in der neuen nicht völlig vergessen. Geht ja gar nicht. Und es gibt ja Telefon und Internet. Da muss ich mich in Portugal als Erstes drum kümmern.
Bis jetzt ist es einfacher, als ich gedacht habe. Das große Flattern wird wohl kommen, wenn ich endgültig im Auto sitze und Richtung Portugal starte.
Noch drei Tage.
Die Familie hat mitgespielt: Ich darf meine Liste der Lieblingsgerichte »abessen«. Heute steht ein zünftiger bayerischer Schweinsbraten mit Kruste und Semmelknödel auf dem Plan. Und dazu natürlich ein Weizenbier!
Ich freue mich auf mein neues Leben, auf all die Erfahrungen und Menschen, denen ich begegnen werde. Am meisten freue ich mich auf António, den ich am Flughafen in Zürich abhole. Gemeinsam wollen wir uns auf die lange Fahrt quer durch Europa begeben.
Noch zwei Tage.
In Portugal hat offenbar alles geklappt. Der Lkw samt Hänger war pünktlich da, der Spediteur aus Lissabon, der beim Ausladen helfen sollte, stand mehr oder weniger pünktlich vor der Tür. António war völlig begeistert, in João auf einen Deutschen zu treffen, der perfekt Portugiesisch spricht.
»Hätte ich nie gedacht«, meint er, »der kennt alle Slangausdrücke. Null Akzent. Einfach toll. Du wirst sehen: Du lernst das auch schnell!«
Allerdings verweigert António am Telefon jegliche Auskunft darüber, wie es in der neuen Wohnung aussieht. Einziger Kommentar: »Es ist ein Chaos. Ein einziges Durcheinander. Ich möchte nicht darüber reden!«
Der letzte Tag.
Es geht los! Um 6.00 Uhr morgens starte ich Richtung Zürich.
António kommt mittags an.
Das Wetter ist traumhaft. Eine sonnige Tour. Vorgeschmack auf meine neue Heimat.
Von Zürich aus fahren wir gemütlich nach Lausanne, wo wir mit einem Freund verabredet sind. Hier verbringen wir die erste Nacht. Und wir bekommen eine Menge Tipps für die weitere Route. Fernando ist nämlich ebenfalls Portugiese, und man weiß ja (das heißt: Ich weiß noch nicht, das lerne ich jetzt!), dass Portugiesen jedes Jahr einmal nach Hause fahren »müssen«.
António und Fernando erklären unisono den Grund: » Para matar a saudade – um unsere Sehnsucht nach der Heimat, nach unserem geliebten Portugal zu stillen.«
All meine portugiesischen Freunde, die in Deutschland aufgewachsen sind, wissen zu erzählen, dass sie die großen Ferien stets in der Heimat verbrachten. Jedes Jahr. Und immer wurde mit dem Auto gefahren. Vollgepackt bis oben hin. Alle mussten mit: Babys, Kleinkinder, Schüler, Teenager, ja selbst Oma und Opa, Tante und Onkel, Cousin und Cousine.
Klingt fremd. Kommt mir kitschig vor.
Noch kann ich das nicht nachvollziehen.
Heute könnte ich es. Heute geht es mir genauso: Wenn ich nicht in Portugal bin, habe ich – saudade .
Kapitel 3
Endlich im »Gelobten Land«
Der erste Tag in Portugal.
Noch nicht direkt in meiner neuen Heimat, in São Domingos de Rana.
Noch nicht einmal in der Nähe von Lissabon. Sondern wir sind hoch oben im Norden: Am frühen Nachmittag haben wir die spanisch-portugiesische Grenze bei Vilar Formoso passiert.
Portugal heißt uns willkommen. Ganz offiziell. Mit einem riesigen Transparent quer über die Straße: »Welcome to the stadium of Europe«. Die EM wirft ihre Schatten voraus – und António begehrliche Blicke auf die Landkarte. »Wir können es leicht heute noch nach Lissabon schaffen«, meint er. »Dann würden wir schon in der neuen Wohnung schlafen … keine Lust, einfach durchzufahren?« Ich weigere mich. Ich möchte nicht spätabends im Dunkeln in eine völlig
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