Kann ich den umtauschen?
altes Zimmer, ihr Zimmer, und schmiss sich rückwärts aufs Bett. Sie schloss die Augen, atmete ganz langsam aus und staunte selbst, wie nüchtern sie sich plötzlich fühlte, nachdem sie doch nur eine halbe Stunde zuvor noch sturzbetrunken gewesen war.
»Was habe ich getan?«, fragte sie sich selbst laut.
Aber sie wusste ganz genau, was sie getan hatte.
Sie hatte genau das Gleiche getan wie Nathan mit El.
Mit dem kleinen, feinen Unterschied, dass sie sich Daniels Kuss nicht entzogen hatte. Sie hatte Daniel nicht gesagt, dass er aufhören solle.
Im Gegenteil. Sie hatte seinen Kuss erwidert und ihn sogar noch einmal geküsst und ihn immer weiter geküsst, bis sie die Welt um sich herum völlig vergessen hatte.
Jetzt war sie also wieder bei A für Arschloch und B für Betrug.
Nur, dass das dieses Mal für sie galt.
Sie hatte ihre Tasche neben dem Bett abgestellt.
Sie holte sie aufs Bett.
Wollte ihr Tagebuch herausholen.
Aber es war weg.
Achtundzwanzigstes Kapitel
Den ganzen Sonntag über suchte sie nach ihrem Tagebuch. Ohne Erfolg. Sie ging fast den ganzen Weg bis zum Shoestring Cottage ab, aber eben nur fast, da sie dem Haus nicht so nahe kommen wollte, dass er sie hätte sehen können. Dann kehrte sie unverrichteter Dinge nach Hause zurück. Sie tröstete sich damit, dass sie die Tasche am Vortag nur mit zu Daniel genommen hatte, nirgendwo anders hin, und dass Daniel viel zu anständig war, als dass er darin lesen würde, falls er es fand. Höchstwahrscheinlich war es von einem leseunkundigen Kaninchen in seinen Kaninchenbau verschleppt worden, also kein Grund zur Panik.
AuÃerdem hatte sie andere Sorgen.
Ihr schlechtes Gewissen plagte sie. Es war über Nacht angeschwollen und hatte Stacheln entwickelt wie ein dicker, fetter Kaktus. Stacheln, die sie pieksten, ganz gleich, in welche Richtung sie sah.
Alice musste dringend beichten.
Flo war ihre Freundin, ihre Seelenschwester, ihre Beichtschwester, der Mensch, an den sie sich in Krisenzeiten immer wandte.
Und darum erzählte sie es schlieÃlich Floyd.
Vielleicht deswegen, weil, ganz gleich, was sie getan hatte, Floyd immer noch zehnmal schlimmer war. Egal, wie sehr Flo sie liebte, sie würde derart schockiert sein, wenn sie hörte, was passiert war, dass sie kein vernünftiges Gespräch darüber würden führen können. Jedenfalls nicht sofort. Nicht, bevor Flo ein paar Flaschen Wein getrunken, ein komplettes Gefühlsregister durchlaufen, gelacht, geweint, in Ohnmacht gefallen und in einem fürchterlichen Zustand wieder aufgewacht wäre. Erst wenn sie ihren Kater auskuriert hätte, würden sie über die Sache reden können.
So lange konnte Alice nicht warten.
Sie musste das alles jetzt sofort loswerden.
Wenn sie es nicht tat, würde es sie von innen heraus auffressen, wie ein Wurm einen Apfel, bis sie nur noch ein angenagtes Kerngehäuse war, braun anlief und vergammelt zu Boden fiel.
Floyd war eigentlich nur in die Konfitürenküche gekommen, um ein paar Papiere abzuliefern und seinen Gehaltsscheck abzuholen.
Als er Alice höflich fragte, wie es ihr gehe, fiel die Antwort deutlich umfassender aus, als er erwartet hatte. Doch nach einem anfänglichen erstaunten »Quatsch!« setzte er sich hin, sah sie aus seinen groÃen bernsteinfarbenen Augen konzentriert und vorurteilsfrei an und hörte ihr zu. Und als Alice mit ihrer Geschichte von Lug und Trug fertig war und sich dabei so vorkam, als gestehe sie einen Mord, zuckte er nur mit den Schultern und sagte:
»Ja und? Das ist doch kein Grund zur Selbstkasteiung.«
»Aber ich habe einen anderen Mann geküsst, Floyd!«
»Und wenn das alles ist, was du in den ganzen sechs Jahren getan hast, um ihn zu verletzen, dann hat er einfach verdammtes Glück gehabt. Jetzt mach dich doch mal locker, Alice. Vergiss es. Vergiss, dass es passiert ist. Was ist schon ein Kuss?« Er neigte sich ihr zu und küsste sie mit seinen groÃen, weichen Lippen ganz sacht auf die Wange. »Siehst du. Bloà ein Kuss. Kein Weltuntergang.«
Alice legte die Stirn in tiefe Falten.
Floyd dachte nur an den Kuss als Tatsache, aber in Wirklichkeit waren es doch die Gefühle, die dem Kuss gefolgt waren, die Alice jetzt so plagten. Aber genau das wagte sie nicht laut auszusprechen. Denn in dem Moment, in dem sie ihre Gefühle verbalisierte, würden sie irgendwie an Wahrhaftigkeit gewinnen â und es
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