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Kann ich gleich zurueckrufen

Kann ich gleich zurueckrufen

Titel: Kann ich gleich zurueckrufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Streidl
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Proof entgegenzunehmen, zu kontrollieren und mir dann Bescheid zu geben. Eine Druckfreigabe werden wir erst am kommenden Morgen erteilen – vorher wird in der Druckerei sowieso nichts passieren. Meine Assistentin ist einverstanden. Dann fragt sie, wann denn mit dem Proof zu rechnen ist. »Spätestens 18:00 Uhr«, sage ich. Kurze Pause. »Geht klar«, sagt sie dann und dass sie mich anrufen wird.
    »Klettern?«, frage ich. Mein Sohn schüttelt den Kopf. »Schaukeln?«, frage ich dann. Nein, sagt er. Auch das Sandspielzeug in meiner Tasche will er nicht haben. Der andere Junge sitzt auf dem Klettergerüst. Ich winke ihm zu. Er winkt nicht zurück. Wahrscheinlich ist er genervt, dass seine Mutter noch nicht da ist. Wegen ihrer Arbeit.
    Bevor ich Mutter wurde, habe ich alle paar Wochen unangekündigte Überstunden gemacht, weil ich auf eine Freigabe, einen Entwurf oder den Ausgang einer Besprechung warten musste. Meine Arbeitszeit, die damals laut Vertrag vierzig Wochenstunden betrug, dehnte sich deshalb oft auf fünfundvierzig, in seltenen Fällen sogar auf fünfzig Wochenstunden aus. Diese Überstunden wurden mir nie ausgezahlt, aber mein Vorgesetzter war immer außergewöhnlich zufrieden mit mir, wenn ich ein Projekt mit Erfolg zu Ende brachte. Er lobte mich oft vor versammelter Mannschaft auf dem allwöchentlichen Jour fixe. Und ich dachte damals, seine öffentliche Anerkennung wäre Entgelt genug, ebenso dass er in mich und meine Fähigkeit, Aufgaben in seinem Sinne zu erledigen, Vertrauen hatte. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher. Ich hätte nach jedem abgeschlossenen Projekt einen kleinen Bonus einfordern können. Oder mehr Verantwortung.
    Vor einiger Zeit habe ich ein Interview mit einer Spitzenpolitikerin gehört, die gerade Mutter geworden war. 3 Vor der Entbindung hatte sie in einer Frauenzeitschrift gesagt, dass sie ein gewisses Unbehagen verspüre, wenn sie an ihre Rückkehr nach dem Mutterschutz in ihr Amt denke. 4 Auch deswegen, weil es ja immer Leute gebe, die einem den Job neiden. Darüber haben sich ihre Parteigenossen fürchterlich aufgeregt. Wie heuchlerisch – denn jede Frau, die in den Mutterschutz geht, fragt sich: Ist meine Stelle noch da, wenn ich zurückkomme? Was, wenn ich nicht mehr so viel Zeit habe wie zuvor, weil ich neue Interessen habe – zum Beispiel mein Kind? Diese Fragen habe ich mir auch gestellt vor der Geburt meines Sohnes. Und ich kann mich an eine Studie erinnern, die dem nachgegangen ist – mit dem Ergebnis, dass fast jede fünfte Frau nach der Elternzeit einen neuen Job suchen muss. 5
    Einen Vorteil habe ich gegenüber der Politikerin: Für mich gibt es die Elternzeit. Für sie nicht. Darüber hat sie nach der Geburt gesprochen, dass sie als Bundestagsabgeordnete keine Möglichkeit hat, eine Elternzeit zu nehmen. Dass sie nach Ablauf der achtwöchigen Mutterschutzfrist gezwungen ist, ihr Baby in die Obhut anderer zu geben. Und dafür natürlich als »karrieregeile Rabenmutter auf dem Egotrip« beschimpft wurde. 6 Dann hat sie noch die Einführung von »politikfreien Abenden« gefordert, also die Abschaffung von Spätterminen, die das letzte bisschen Familienleben zerstören. Sie hat als Beispiel Schweden genannt, wo es nach fünf keine Parteitermine geben darf.
    Der andere Junge kommt zu uns. »Wo bleibt meine Mutter?«, fragt er. Er würde sicher für die Einführung arbeitsfreier Nachmittage stimmen. Ich sage ihm, dass es nicht mehr lange dauern wird. Dass seine Mutter mit seiner Schwester zu Hause auf einen Handwerker wartet. Ich sehe auf mein Handy. 16:07 Uhr. »Wahrscheinlich ist sie schon auf dem Weg hierher«, sage ich und biete dem Jungen eine Brezel an. Er nimmt sie und setzt sich damit in den Sand unter das Klettergerüst. Jetzt will mein Sohn auch eine Brezel. Er beißt einmal ab, dann gibt er sie mir zurück. »Tika mag keine Brezel«, sagt er. Aha, denke ich.
    Diese Spitzenpolitikerin war die erste, die in ihrer Amtszeit Mutter geworden ist. Mir hat sie aus dem Herzen gesprochen: Wie furchtbar, das eigene Baby acht Wochen nach der Geburt fremdbetreuen lassen zu müssen. Und dann noch keine Aussicht auf einen pünktlichen Feierabend zu haben. Umso überraschter war ich über Reaktionen aus meinem Umfeld. Ein Bekannter schimpfte, dass Politiker doch eh schon so viel Geld von ihm, dem Steuerzahler, bekämen. Da solle diese Politikerin wenigstens das Elterngeld sausen lassen, wenn sie schon alles andere hinten reingeschoben kriege. Und im Büro meckerte eine

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