Kann ich gleich zurueckrufen
einen Rückruf gebeten habe, wenn der Kurier aus der Druckerei eintrifft.
Der Anruf kommt aus dem Büro, aber nicht von meiner Kollegin. Es ist die junge Grafikerin, die das Layout für die Broschüre gemacht hat. Sie klingt kleinlaut, hat ausnahmsweise keinen Kaugummi im Mund. Sie hat einen Fehler gemacht, das veraltete Logo eines Sponsors verwendet. Das ist ihr gerade aufgefallen. Ob ich da noch was ändern kann, will sie wissen. Mein Sohn hält meine Hand und stöhnt leise. Ich bitte sie, sofort das Logo auszutauschen und den geänderten Entwurf dann per Kurier und per Datenübertragung an die Druckerei zu senden. Ich rufe die Druckerei an und erkundige mich nach dem Status. Ich habe Glück – der Auftrag steht in der Warteschleife und ist für 17:30 Uhr angesetzt. Ich erkläre, dass es ein neues, aktualisiertes Layout gibt, das innerhalb der nächsten fünfzehn Minuten per Filetransfer und Kurier eintrifft. Und bitte darum, den Proof basierend auf dem neuen Entwurf anzufertigen. Schließlich rufe ich meine Assistentin an und sage, dass der Proof wohl erst gegen 19:30 Uhr kommt. Sie ist gelassen. Ich entschuldige mich trotzdem dafür, dass ich ihr Überstunden verschafft habe.
Dann lege ich das Handy beiseite. Mein Sohn ist eingeschlafen. Ich streichle seine Stirn und bemerke, dass ich hungrig bin. Kurz vor sechs. In der Küche mache ich mir ein belegtes Brot und schenke mir ein Glas Orangensaft ein. Ist es nur Fieber? Oder kommt jetzt eine der großen Kinderkrankheiten? Ich überlege kurz, ob ich im Kindergarten von einem Windpocken- oder Scharlachfall gehört habe. Mir fällt nichts ein, ich erinnere mich nur an ein Kind, das einen Gipsarm hat. Vielleicht ist es ja einfach nur Fieber, das morgen wieder weg ist. Ich versuche mich zu beruhigen, da fällt mir ein, dass ich neben der Sorge um meinen Sohn auch Sorge habe, weil ich auf meinem Krankentage-für-das-Kind-Konto nur noch einen Tag habe. Und dann denke ich an den Proof, den ich eigentlich morgen früh kontrollieren muss. Um die Broschüre rechtzeitig in Druck zu geben.
Vielleicht wäre es eine gute Idee, die Druckfreigabe von der jungen Kollegin machen zu lassen. Schließlich sitzt sie jetzt im leeren Büro und verbringt ihren Feierabend mit Warten auf einen Kurier. Ich könnte dem Vorgesetzten mitteilen, dass meine Assistentin die Sache mit meinem Einverständnis und vollstem Vertrauen … Ich ertappe mich wieder dabei, wie ich versuche, mich zu beruhigen. Mein Sohn stöhnt laut. Ich gehe ins Kinderzimmer.
Der Kleine schläft, wälzt sich aber unruhig hin und her. Ich messe noch einmal seine Temperatur. 39,5 °C. Ich streichle seine heiße Stirn und bleibe neben ihm sitzen. »Tika«, flüstere ich, »alles wird gut.« Ans Büro denke ich dabei auch. Nach ein paar Minuten gehe ich ins Bad und starte die Waschmaschine.
Um 19:46 Uhr ruft die junge Kollegin an. Der Proof ist da, mit neuem Logo und den richtigen Farben. Ich bedanke mich bei ihr und kündige an, dass ich voraussichtlich am nächsten Tag nicht ins Büro kommen werde. »Mein Sohn hat hohes Fieber«, sage ich und verspreche, ihr am kommenden Morgen frühzeitig Bescheid zu geben. Tatsächlich habe ich gerade noch ein drittes Mal Temperatur gemessen: 39,2 °C.
Ich kenne einige Leute, die ihre Kinder vorschieben, wenn sie zu faul oder zu feig sind, die Wahrheit zu sagen. Sind sie zu müde, um abends noch auf ein Bierchen auszugehen, sagen sie die Verabredung mit der Begründung, ihr Kind will nicht einschlafen, sie finden keinen Babysitter oder das Kleine hat plötzlich Fieber gekriegt, ab. Natürlich gibt es immer Tage, an denen Kinder nicht einschlafen wollen oder überraschend krank werden. Auch Babysitter gibt es nicht wie Sand am Meer. Um ein richtig gutes Gefühl beim Ausgehen zu haben, ist es mir auch am liebsten, mein Mann oder meine Mutter sind bei unserem Sohn. Und dennoch finde ich es falsch, ein Kind als praktisches Mittel für die eigene Befindlichkeit vorzugeben. Das stört mich auch an Situationen, die ich gerne mit Small Talk 2.0 betitle: Manche Leute können nur über ihre Kinder sprechen. Haben sie früher über das Wetter geschimpft, sind sie heute auf Schlafgewohnheiten oder Windelgeschichten fixiert. Andere Themen gibt es nicht für sie.
Ich kontrolliere noch mal meinen Handykalender, den ich heute mit dem Jobkalender synchronisiert habe. Wenn ich morgen nicht arbeiten gehe, ist das zwar schlimm, aber keine Katastrophe. Zwei Dinge muss ich koordinieren, nämlich den Druck
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