Kann ich gleich zurueckrufen
rufe ich in der Druckerei an und nenne dort die junge Kollegin als Ansprechpartnerin für diesen einen Auftrag. Hoffentlich schläft der Kleine noch länger und lässt mich die ganzen Telefonate führen, denke ich.
Neben dem Büro muss ich in der Kinderarztpraxis anrufen und einen Termin vereinbaren. Eigentlich ist es nicht nötig, dass mein Sohn untersucht wird. Aber ich brauche das Attest, um es im Büro vorzulegen. Heute ist der zehnte Tag, den ich in diesem Jahr nicht zur Arbeit gehe, sondern mich um mein krankes Kind kümmere. Übrig bleiben noch die zehn Tage, die mein Mann in Anspruch nehmen kann.
Ich nehme mein Handy und überprüfe schnell den Kalender. Es steht nichts Besonderes an, weder hier zu Hause noch im Büro. Morgen der Termin bei der Friseurin, da kommt meine Mutter zum Babysitten. Vielleicht kann sie auch mal im Krankheitsfall kommen. Gerade wenn die Krankheit eigentlich überwunden ist und nur noch ein letzter Tag Schonung angesagt ist, könnte sie einspringen. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob sich immer meine Mutter oder auch mal mein Vater um mich gekümmert hat, wenn ich krank war. Andererseits bin ich auch erst mit fünf für ein Jahr in einen Kindergarten gegangen, der damals neu eröffnet worden war. Und als ich auf die Grundschule kam, hat meine Mutter zwar in der Gemeindebücherei gearbeitet, aber nur wenige Stunden am Tag. Es gab keine Hortplätze, und die Schule endete meistens schon um zwölf – da war ein Vollzeitjob für meine Mutter nicht drin. Mein Vater hatte den Vollzeitjob, ohne Kinderbetreuungsproblematik. Natürlich lebten auch meine Eltern nach der klassischen Rollenverteilung des männlichen Versorgers, die in den Achtzigerjahren noch sehr verbreitet war. Nur vom Ehegattensplitting profitierten meine Eltern nicht. Weil sie ja nie geheiratet haben.
Ich trinke den letzten Schluck Kaffee. Meine Eltern waren anders als die meiner Klassenkameraden. Das hat mich manchmal ganz schön gestört. Als ich vierzehn, fünfzehn war, hat meine Mutter wieder mehr in der Bücherei gearbeitet – ich musste dann oft bei meiner Schulfreundin zu Mittag essen. Manchmal bin ich auch zu den Nachbarn gegangen. Ich glaube, meine Mutter war damals ziemlich froh, mehr arbeiten zu können, mehr Freiraum zu haben. Aber ich mochte es nicht so gern, als Gast am Tisch einer anderen Familie zu sitzen. Ich kam mir so exotisch vor: Die anderen Mütter arbeiteten nicht und waren mit den Vätern meiner Klassenkameraden verheiratet. Ein Name stand auf allen Klingelschildern, nicht zwei wie bei uns. Und in den meisten Familien gab es zwei oder drei Kinder – ich glaube, auf der Grundschule war ich das einzige Einzelkind in meiner Klasse.
Im Schlafzimmer klingelt der Wecker, Viertel vor sieben. Mein Mann kommt in die Küche und sieht müde aus. Er fragt nach Kaffee und wie es unserem Kind geht und mir. Dann verschwindet er im Bad. Ich blättere in einem Magazin und lese, was Musikerinnen eines renommierten deutschen Orchesters über die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere erzählen. 9 Eine Violinistin, die ihre Kinder allein erzieht, beschreibt ihre halbe Stelle beim Orchester als Segen, denn nur so konnte sie Kinder und Beruf unter einen Hut bringen. Und dann sagt sie etwas, das ich absolut unterstreichen möchte: Die Teilzeitstelle hat noch einen schönen Nebeneffekt – weil sie nur halb so viel arbeitet, freut sie sich wirklich auf jede Probe und auf jedes Konzert. Zwar spiele ich in meinem Büro kein Instrument, doch neben der größeren Effizienz, die ich mir beim Arbeiten angewöhnt habe, freue ich mich auch mehr an der Arbeit. Na ja, wenn es gut läuft, nicht, wenn es hakt.
Ich gähne. Und denke, dass ich ja nun Zeit hätte, um in Ruhe Wäsche zusammenzulegen, mal wieder einen Bettbezug zu bügeln oder einen Kuchen zu backen. Immer mehr fällt mir ein, was ich tun könnte, und ich muss über mich selbst lachen, so absurd sind meine Ideen: vom Fahrradputzen – schlecht, weil nicht in der Wohnung möglich – über meiner-müden-Gesichtshaut-eine-Feuchtigkeitsmaske-spendieren – problematisch, weil ich keine Pflegepackung dahabe –, bis zur Vorhangstange im Bad, die dringend neu verdübelt werden muss – schwierig, weil sehr lärmintensiv. Doch wirklich geschenkt ist die Zeit, die man mit der Pflege und Betreuung seines kranken Kindes verbringt, nicht.
Ich kürze meine Liste radikal und räume den Wäschetrockner aus. Dann ziehe ich mich an und gehe leise ins Kinderzimmer. Mein Sohn
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