Kann ich gleich zurueckrufen
Riesenszene wegen irgendwelcher Süßigkeiten gemacht. Inzwischen weiß ich, wie es wirklich ist. Und ich unterstelle den Frauen, dass sie diese wunderbare Welt des Wachsens und Entwickelns nicht teilen wollen. Deshalb verkaufen sie uns Männern den Alltag mit einem Kind unter Wert: Reduziert auf Windeln und Weinen wirkt das so furchtbar, dass wir lieber dankend ablehnen.«
Richtig sympathisch ist mir der Mann jetzt doch nicht, vor allem wenn er von »uns Männern« spricht. Aber er hat nicht unrecht mit seinen Beobachtungen: Die innige Verbundenheit mit dem eigenen Kind hergeben, das ist mir auch nicht leichtgefallen, als meine Rückkehr ins Berufsleben bevorstand. Und gerade dieses Jammern über Schlafmangel und Windelnwechseln ist schon ziemlich typisch für Mütter mit kleinen Kindern. Oft sagen sie gar nichts über das große Glück, das ein Kind uns beschert. Dann kenne ich aber auch viele Paare, die vor der Geburt ihres Kindes auf einer gleichberechtigten Aufteilung von Windeln und Weinen bestanden haben. Ist das Kind dann da, steht aber trotzdem die Frau nachts auf. Und erklärt, dass der Mann seinen Schlaf braucht – er muss ja am nächsten Morgen ausgeruht ins Büroleben gehen. Dass eine Frau auch ausgeruht ins Mutterleben gehen muss, fällt dabei unter den Tisch. Oder dass eine Mutter auch ein Büroleben hat. Oder haben könnte.
Ich überprüfe kurz mein eigenes Leben. Heute Morgen waren wir beide müde: Mein Mann hat bis halb drei am Bett unseres kranken Sohns gesessen, ich danach. Viel Schlaf haben wir alle nicht bekommen in dieser Nacht. Aber in Sachen Elternzeit haben wir es so gemacht wie die meisten Familien: Zwölf Monate war ich zu Hause, zwei Monate mein Mann. Immerhin hat er überhaupt Elternzeit genommen. Und jetzt sitze ich in der Kinderarztpraxis mit dem kranken Tika und verpasse einen Tag meiner Teilzeitarbeit.
»Wissen Sie, ich habe mir nicht vorstellen können, wie schön das ist, den Tag ganz nach dem Tempo meiner Tochter abzustimmen. Wir stehen auf, wenn sie wach wird, nicht wenn der Wecker klingelt. Wir gehen so schnell zum Spielplatz, wie sie möchte – oder so langsam. Das ist für mich eine völlig neue Erfahrung.« Ich kann den Mann verstehen. Zeit ist das eigentliche Handicap meines Lebens, weil mein Tag nach einem Stundenplan ausgerichtet ist, den mein Kind nicht kennt. Oder akzeptiert.
Mein Sohn klettert von meinem Schoß auf den Boden und kramt in der Lego-Kiste. Es geht ihm wohl etwas besser. Das erleichtert mich – die heiße, stickige Luft im Wartezimmer hätte auch eine Verschlechterung bedeuten können. Aber er spielt und ist ganz ruhig. Ich kann mich erinnern, wie wir die ersten Wochen nach der Entbindung verbracht haben: Alles richtete sich nach ihm. Ich habe geschlafen, wenn er geschlafen hat. Gegessen, nachdem ich ihn gestillt hatte. Doch dann irgendwann dachte ich, es wäre wichtig, ihn an einen festen Rhythmus zu gewöhnen. Alle drei, vier Stunden stillen, nachts schlafen. Das hat nicht wirklich gut funktioniert. Mich aber wahnsinnig unruhig gemacht, weil ich immer dachte, ich würde etwas falsch machen. Meine Mutter hat mir damals von einem Buch aus den Dreißigerjahren erzählt, das meine Großmutter ihr empfohlen hatte. Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind . 10 Ein schauriges Werk, das von einer Mutter verlangt, ihr neugeborenes Kind nur alle vier Stunden zu stillen. Keinen unnötigen Körperkontakt zu haben. Bei Weinen zu schlagen oder rigoros die Nahrungszufuhr zu unterbrechen. Quasi Isolationshaft nach der Geburt. Mach dein Kind zum Kaspar Hauser – eine Anleitung zum Töten auf Raten. Sicher sind viele Kinder an dieser Form der Betreuung gestorben, aus Einsamkeit. Ich habe das mit dem Rhythmus dann schnell sein lassen.
Inzwischen ist es schon 9:50 Uhr. Mein Sohn tänzelt von einem Bein auf das andere. Ich überrede ihn, mit mir zur Toilette zu gehen. Als wir wiederkommen, sitzen Vater und Tochter auch immer noch im Wartezimmer. »Haben Sie denn schon einen Krippenplatz?«, frage ich den Mann, um die Wartezeit noch einmal zu überbrücken. »Ja«, sagt er. »Das war wirklich der Wahnsinn: Wir haben uns in dreiunddreißig Einrichtungen beworben, und zwar ab der fünften Schwangerschaftswoche. Letzte Woche dann haben wir eine Zusage bekommen – nach neunundzwanzig Absagen, Eltern-Kind-Bewerbungsgesprächen, Probespielen und diversen Tag-der-offenen-Tür-Veranstaltungen. Drei Kitas haben immer noch nicht entschieden, ob sie uns wollen. Was uns aber
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