Kann ich gleich zurueckrufen
die junge Kollegin an. Sie hat den Proof gemeinsam mit dem Vorgesetzten durchgeschaut. Er hat tatsächlich noch einen Tippfehler gefunden, den die Druckerei korrigiert hat. Jetzt ist die Broschüre in Druck gegangen, am Freitag wird sie ausgeliefert – gerade noch pünktlich. Ich bin erleichtert und sage das meiner Assistentin. Sie sagt, der Vorgesetzte war extrem höflich und zuvorkommend. Dann fragt sie, wie es dem Kind geht. »Schon besser«, sage ich. »Ich glaube, dass ich morgen wieder komme.«
Ich frage sie, ob der Vorgesetzte ihr gegenüber die Präsentation erwähnt hat, die ich gestern abgegeben habe. Nein, sagt sie. Nach dem Telefonat hole ich mir ein Glas Wasser und rufe meine Mutter an. Sie will wissen, ob sie heute oder morgen Nachmittag auf den Kleinen aufpassen soll. »Am Donnerstag«, antworte ich etwas genervt. Und empfehle ihr, den Termin am besten in ihren Kalender zu schreiben. Sie sagt, sie habe keinen Kalender, würde den Termin aber auf einen Zettel schreiben, den sie an den Kühlschrank klebt. Sie fragt, was los ist. Ich erzähle vom Fieber und dem letzten verbleibenden Krankheitstag. »Beim nächsten Fieber komme halt ich«, sagt sie. Und ob sie was für mich tun kann. Nein, sage ich. Und dass es gar nicht so schlimm ist. Dass ich genervt bin, obwohl ich es gar nicht sein müsste – weil ich einen Tag zu Hause auch ganz gut finde. Abgesehen von den Sorgen, die ich mir um den Kleinen mache, füge ich schnell hinzu. Ich kann dich gut verstehen, sagt meine Mutter. Dann fragt sie noch, wann sie morgen da sein soll. »Um vier«, sage ich ungeduldig. Ich sehe nach dem Kleinen. Er schläft. Inzwischen ist es kurz vor eins. Ich entscheide mich wieder gegen Bettwäschebügeln, Fahrradputzen oder Büro-Mails-lesen und lege mich aufs Sofa. Schlaf nachholen.
Um 13:45 Uhr schrecke ich hoch. Besorgt laufe ich ins Kinderzimmer. Mein Sohn liegt immer noch genauso da wie vor knapp zwei Stunden. Er atmet ruhig und fühlt sich nicht heiß an. Erleichtert gehe ich ins Bad. Die Waschmaschine ist fertig, ich belade den Trockner und starte das Programm. Ich wische einen Wasserspritzer vom Spiegel über dem Waschbecken und staple die Handtücher im Schrank auf Kante. Übersprungshandlung – dabei stand das gar nicht auf meiner Liste! So oft wünsche ich mir ein paar Minuten nur für mich. Und jetzt habe ich sie, und mir fallen nur absurde Dinge ein, die ich tun könnte. Stupide Fleißaufgaben. Ich gehe in die Küche und blättere bis zur Rätselseite in der Zeitung.
Während ich über einer Zahlenkombination brüte, denke ich an das Gespräch mit meinem Mann von heute Morgen. Seine Enttäuschung über seine Abteilung, den vermeintlichen Hort der Visionen. Geht es mir da anders? Ist das, was ich im Büro mache, wirklich das, wofür ich studiert habe? Broschüren für Firmenprojekte entwerfen – war ich dafür sechs Jahre an der Uni? Damals hatte ich keine Vorstellung davon, was der Arbeitsmarkt für mich hergeben würde. Ich dachte an die große Freiheit. Reisen. Ausgehen. Eigenes Geld verdienen und nicht mehr vom BaföG abhängig sein. Dass ich nach dem Abschluss in eine neue Abhängigkeit geraten könnte, nämlich in die von einer Firma, einem Vorgesetzten, das hatte ich nicht bedacht.
Eine Nachbarin hat mir letztens gesagt, dass sie arbeiten geht, um nicht von ihrem Mann abhängig zu sein. Der ist nämlich ein alter Geizkragen und hat ihr während der Elternzeit nur das Nötigste in Sachen Haushaltsgeld zugestanden. So was wie mal ein Eis essen gehen, will er nicht finanzieren. Und weil sie das wahnsinnig ankotzt, so die Nachbarin, hat sie ihre Seele an eine dieser Heuschreckenimmobilienfirmen mit Sitz in den USA verkauft. Von ihrem Gehalt bezahlt sie Kindergarten, Putzfrau, manchmal einen Babysitter und ab und an ein Eis. Als ich das hörte, habe ich mich mal wieder gefragt, ob sich das lohnt – und ob mein Arbeitgeber Medienhaus so viel besser ist als eine raffgierige Immobilienfirma.
Um halb drei wacht Tika auf. Er sieht verschlafen aus, hat aber kein Fieber mehr. Er will Grießbrei essen. Und eine Geschichte hören, mit einem Fahrrad im Wald und einem Elefanten. Der Nachmittag vergeht im Tempo meines Sohnes. Wir kochen Grießbrei – er rührt so lange, bis keine Klumpen mehr zu sehen sind. Ich denke mir noch mehr Geschichten für ihn aus. Und versuche herauszufinden, wie er auf »Tika« gekommen ist. »Bist du ein Tiger namens Tika?«, frage ich. Er schüttelt den Kopf. »Ich bin einfach nur
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