Kann ich gleich zurueckrufen
Tika.« Dann spielen wir Verstecken, und schauen aus dem Fenster, bis Tika gähnt. Als ich auf die gelbe Uhr sehe, bin ich überrascht: Viertel nach sechs. Da höre ich den Schlüssel in der Wohnungstür. Mein Mann kommt heim, gut eine halbe Stunde früher als sonst. »Heute bleibt die Küche kalt … aber ich war nicht im Wienerwald. Ich hab was vom Chinesen mitgebracht«, sagt er.
Wir gehen in die Küche und essen Frühlingsrollen und Reis mit Gemüse und Fleisch. Der Kleine trinkt japanische Limo, mein Mann und ich trinken Reisbier. Mein Sohn kämpft mit dem Reis, der von der Gabel fällt. »Kannst du mir helfen?«, fragt er erschöpft. Ich vermenge Reis mit Gemüse und Sauce und spieße ein kleines Stück Fleisch auf. Und füttere meinen Sohn.
Zum Nachtisch essen wir Glückskekse. Auf meinem Zettel steht: »Entschlossenheit hat keine Rückkehr.« Nach dem Essen bringt mein Mann unser Kind ins Bett. Ich lasse mir ein Bad einlaufen, räume den Wäschetrockner aus, ziehe ein Nachrichtenmagazin aus unserem Zeitungsstapel und steige in warmes Schaumwasser. In der Wanne vertiefe ich mich in einen Artikel über Elternzeit. Der Text ist schon einige Wochen alt. Ich schaffe es selten, ein Magazin ganz zu lesen, und hebe die Hefte deswegen auf, bis ich sie wenigstens durchgeblättert habe. Im Artikel geht es um Zahlen, die die Bundesregierung veröffentlicht hat. 11 Immer mehr Väter nehmen zwei Monate Elternzeit, fast jeder vierte beantragt Elterngeld. Die Familienministerin sagt dazu: »Das Elterngeld wirkt.«
Mein Mann liegt mit seinen zwei Monaten Elternzeit im Trend. Vor der Geburt haben wir viel darüber diskutiert, aber nicht, ob er jetzt einer der »neuen Väter« ist und auch nicht über die Anzahl seiner Vätermonate, sondern über das Geld, das uns während der Elternzeit zur Verfügung stehen würde. Das Vollzeitgehalt, das ich vor der Geburt bekam, war deutlich niedriger als das meines Mannes. Da das Gehalt die Grundlage für die Berechnung des Elterngeldes ist, haben wir uns klar nach den Zahlen orientiert. Miete, laufende Kosten und ein bisschen Puffer für mögliche Extras wollten wir abgedeckt wissen. Und somit war klar, dass ich lange zu Hause bleibe und er kurz.
Das Elterngeld gilt als Wundermittel der ersten deutschen Bundeskanzlerin und ihrer früheren Familienministerin. Die Bundeskanzlerin nannte es in einer Rede auch den »Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik«. 12 Und bat die deutsche Wirtschaft darum, bitte nie mit einem Vater zu schimpfen, der Elternzeit nehmen möchte. Weil die Männer es halt nicht so einfach hätten und keine Übung und Erfahrung darin, daheim bei einem Kind zu bleiben. Ich erinnere mich deswegen so genau an diese Rede, weil mein Mann damals erzählte, dass er der Erste in seine Abteilung sei, der Elternzeit nehme. Wie visionär – aber wirklich visionär waren wir dann doch nicht.
Ich lasse noch einmal heißes Wasser nachlaufen. Und fühle mein Engagement als Mutter plötzlich ungerecht bewertet. Ich habe mich in meinen zwölf Monaten bestimmt genauso intensiv um unseren Sohn gekümmert wie mein Mann in seinen zwei Monaten. Trotzdem habe ich dafür weniger Geld bekommen. Weil meine Leistung im Büro weniger Geld wert ist als die meines Mannes in seinem Unternehmen, ist auch mein Einsatz als Elternteil weniger Geld wert.
Ich lege das Magazin weg und steige aus der Wanne. Mit nassen Haaren setze ich mich aufs Sofa. Mein Mann kommt aus dem Kinderzimmer und setzt sich zu mir. »Ich habe noch mal Fieber gemessen – 37,5 °C. Alles wieder gut.« Ich bin erleichtert. Und erzähle ihm ausführlich vom Besuch beim Arzt und dem Gespräch mit dem Mann im Wartezimmer. »Hättest du lieber sechs Monate Elternzeit genommen?«, frage ich.
Mein Mann schweigt kurz. »Ja«, sagt er. »Aber eigentlich nein. Ja, weil ich die Zeit, die ich mit unserem Sohn allein verbringen konnte, sehr genossen habe. Es ist mir ähnlich gegangen wie diesem Mann: Mich auf den Rhythmus meines Kindes einzustellen, das hat mich sehr glücklich gemacht.« Er macht eine Pause. Ich merke, dass es ihm schwerfällt, weiterzusprechen. »Du weißt ja, ich bin der Erste und der bislang Einzige, der in meiner ach so zukunftsorientierten Abteilung Elternzeit genommen hat.«
Er klingt bitter. Sein Chef musste Ja sagen, als er ihn um die zwei Monate bat. Aber er reagierte doch sehr herablassend, fragte etwa, ob er denn wenigstens was Produktives in dieser Zeit anstellen werde. In Urlaub fahren sei ja das Mindeste.
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