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Kann ich gleich zurueckrufen

Kann ich gleich zurueckrufen

Titel: Kann ich gleich zurueckrufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Streidl
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ein langärmliges T-Shirt, eine Unterhose und eine weiche Hose aus dem Schrank und wechsle seine Kleidung.
    Ich überlege, in welcher Reihenfolge ich die beiden nächsten Telefonate führen soll. Meinen Vorgesetzten erreiche ich ab neun Uhr. Die Kinderarztpraxis ist auch ab neun geöffnet. Beim Arzt rufen erfahrungsgemäß alle Eltern mit kranken Kindern gleich in der Früh an, deswegen dauert es immer, bis man durchkommt. Dann kann es aber sein, dass wir sofort einen Termin bekommen und schnell losmüssen. Das Telefon meines Vorgesetzten ist nicht dauerbelegt, außerdem hat er ja auch das Sekretariat vorgeschaltet. Andererseits muss er vielleicht schon früh zu einem Termin und ist erst später persönlich zu erreichen.
    Ich setze mich ans Bett meines Sohnes und streichle seine Hand. »Tika ist krank«, sagt er. Er trinkt noch mehr Kakao. Ich messe seine Temperatur, 38,7 °C. Er schmiegt sich wieder an mich und schließt die Augen. Ob es nun das Fieber ist oder die unruhige Nacht: Es geht ihm wirklich nicht gut.
    Gegen neun sitze ich immer noch an Tikas Bett und wähle die Nummer meines Vorgesetzten. Die Sekretärin ist am Apparat. Der Vorgesetzte ist noch nicht im Haus, wird aber jeden Moment erwartet. Und um Viertel nach neun hat er eine Telefonkonferenz. Zwischen neun und Viertel nach könnte ich ihn aber gut erreichen, meint die Sekretärin. Sie verspricht, ihm auszurichten, dass ich angerufen habe. Dann wähle ich die Nummer der Kinderarztpraxis. Der Anrufbeantworter springt an und leiert die Sprechzeiten herunter: Montag bis Freitag 9–12 und 15–18 Uhr. Ich versuche es eine Minute später noch einmal beim Kinderarzt und habe wieder kein Glück: belegt. Also doch zuerst das Büro.
    Um 9:01 Uhr wähle ich die Nummer meines Vorgesetzten, die Sekretärin stellt mich durch. Gut gelaunt begrüßt mich mein Chef. »Ich muss Sie mal was fragen: Woran erkennt man, dass sich ein Mann Gedanken über die Zukunft macht?« Ich schweige. »Er kauft zwei Kisten Bier!« Er lacht kurz, doch ich merke, dass seine Stimmung ein wenig kippt. »Sie sind ja gar nicht da«, sagt er. »Gibt’s Ärger in der Druckerei?« An dieser Stelle fühle ich mich, als hätte ich einen Boxkampf verloren, ohne überhaupt in den Ring gestiegen zu sein. Ich erkläre, dass die Druckerei bereits gestern Abend den neuen Proof geschickt hat, dass der Proof der Abteilung vorliegt und vorbildlich ist. »Gefällt er Ihnen denn?«, unterbricht er mich. Ich muss zugeben, dass ich den Proof nicht gesehen habe, und versuche zu erklären, dass meine Assistentin alles übernimmt und fristgerecht zu Ende bringen wird, zu aller Zufriedenheit. »Und warum machen Sie das nicht? Ist doch schließlich Ihr Projekt!«, poltert der Vorgesetzte. Ich hole tief Luft. »Mein Sohn hat seit gestern hohes Fieber. Wir müssen zum Arzt, ich hoffe, dass es nichts Ernstes ist«, sage ich und versuche sachlich zu klingen. Mitleid will ich nicht. Eigentlich noch nicht mal Verständnis. Ich will nur Akzeptanz haben für eine Situation, in die alle geraten können. Menschen werden krank, egal, wie alt sie sind.
    Der Vorgesetzte reagiert sehr professionell. »Aha«, sagt er. »Dann können wir an dieser Stelle Schluss machen. Ich warte auf Nachricht von Ihrer Assistentin.« Er beendet das Gespräch. Ich habe Schweißflecken unter den Armen und eiskalte Hände. Mein Sohn liegt ganz still in seinem Bett. Seine Augen sind weit offen. Er atmet ruhig. Ich wähle die Nummer der jungen Kollegin und gebe ihr kurz Bescheid. »Ruf an, wenn du Unterstützung brauchst«, sage ich. »Und wenn es irgendwo Ärger gibt, sag, ich sei verantwortlich.« Ich lege auf und wähle ihre Nummer sofort noch einmal. »Wenn die Druckerei etwas wegen Extrakosten sagt – lass dich auf nichts ein. Beruf dich auf meine Verantwortung.« Sie verspricht, meinen Anweisungen zu folgen und mich auf dem Laufenden zu halten.
    Jetzt ist es schon zehn nach neun. Ich wähle die Nummer der Kinderarztpraxis und komme endlich durch. »Sie können gleich vorbeikommen, ich habe um 9:30 Uhr noch einen Termin frei«, sagt die Sprechstundenhilfe. »Wenn Sie später kommen, müssen Sie warten.«
    Also doch hetzen. Die Praxis liegt zwei U-Bahn-Stationen entfernt, pünktlich sind wir nur, wenn wir das Fahrrad nehmen. Ich ziehe meinem Sohn Schuhe, Mütze und Jacke an und nehme ihn auf den Arm. Meine Tasche hängt seit gestern Abend an der Garderobe, ich schlüpfe in meine Schuhe, nehme meine Jacke und verlasse die Wohnung, mein Kind auf

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