Kann ich gleich zurueckrufen
haben noch ein bisschen Zeit. Am Nebentisch geht es immer noch um Elterninitiativen. Was die kosten, was die verlangen. Manche wollen ganz schön viel, erinnere ich mich an »meine« Elterninitiative. Bei Vertragsabschluss wurden drei Monatsbeiträge im Voraus als Kaution verlangt. Ich kam mir vor, als würde ich eine Wohnung anmieten. Fehlte noch die Schufa-Auskunft und ein polizeiliches Führungszeugnis. Auf Nachfrage erklärte mir die Leitung dann aber, dass es immer wieder vorkommt, dass Eltern ihr Kind anmelden und sich dann nicht mehr melden. Plätze bleiben frei, und das Vergabeprozedere muss von Neuem beginnen. Eltern sind also nicht nur Opfer, sondern auch Täter, habe ich daraus verstanden.
Die beiden Frauen brechen auf. Ich höre noch, wie der Junge ausgeschimpft wird, weil er mit dem Skateboard einen Blumentopf umgefahren hat.
Ich will meinen Sohn nicht hetzen. Also trinke ich den Rest meines Eiskaffees in Ruhe. »Tika liebt Schokoladeneis«, höre ich und sehe auf seinem Shirt doch einen Eisfleck. Er will auf meinen Schoß und schmiert mir Schokoladeneis auf die Bürobluse. Muss ich nicht selbst waschen, denke ich mir und genieße es einfach, mit ihm hier zu sitzen.
Ich glaube, die Kinderläden, die in den Siebzigern gegründet wurden, sollten die Gesellschaft nachhaltig verändern. Sich dabei aber nur an einen elitären Teil der Gesellschaft zu wenden, das ist der Hauptgrund, warum ich »meine« Elterninitiative so unmöglich fand. Die Gebühr, die sie verlangte, können sich nur wenige Familien leisten. Wir gehören nicht dazu. So wurden finanziell schlechter gestellte Familien ebenso ausgeschlossen wie die, in denen mehrere Kinder sind (eine Geschwisterermäßigung war in dieser Kita nicht vorgesehen). Und doch ist längst erwiesen, dass besonders die Kinder, die eben nicht aus wohlhabenden Familien kommen, durch einen Kita-Besuch Chancen erhalten, die sie sonst verpassen würden. 16 Mehr als wenn den Familien das Geld für die Kita bar ausgezahlt werden würde. Daneben stinkt es gewaltig zum Himmel, dass trotz dieser hohen Gebühren auch noch Fulltime-Einsatz der Eltern gefordert ist. Toiletten putzen – warum wird keine Putzhilfe eingestellt? Ach, stimmt ja, Putzfrauen können kündigen. Das hatte ich ja vergessen. Ich muss unsere Toilette auch wieder selbst putzen. Und mir erneut darüber klar werden, ob ich die innige Verbindung mit meinen sandigen Fußböden und meinen Armaturen voller Wasserspritzer mehr schätze als die Qualitätszeit mit meinem Kind. Alles in allem ist eine solche Elterninitiative eine Erweiterung der Upperclass-Hausfrauenehe: Sie bietet die Kinderbetreuung passend zum Ehegattensplitting.
15:49 Uhr. Wir müssen los. »Die Oma kommt gleich«, sage ich zu meinem Sohn. Wir stehen auf und gehen nach Hause. Ich habe dem Kleinen gerade die Schuhe ausgezogen, als es klingelt. Meine Mutter kommt kurz darauf aus dem Fahrstuhl. Sie sieht abgekämpft aus. »Was für eine Hitze«, sagt sie und bittet um ein Glas Wasser. Ich sehe sie besorgt an. Sofort steigt in mir das schlechte Gewissen hoch, dass ich sie über die Maßen beanspruche mit meiner Bitte, einen Nachmittag mit ihrem Enkelkind zu verbringen. Kaum denke ich das, ärgere ich mich über mich selbst. Mein Sohn ist ihr einziges Enkelkind. Meine Mutter ist Rentnerin. Sie wohnt zwanzig Minuten mit dem Auto entfernt. Es gibt keine regelmäßigen Einsätze für sie als Babysitterin, sondern nur gelegentliche. Und oft hat sie auch von sich aus abgesagt, weil es ihr terminlich oder gesundheitlich nicht gepasst hat. Hier gibt es nichts, was mir ein schlechtes Gewissen machen sollte – außerdem lieben sich Oma und Enkelsohn. Und genießen es, Zeit miteinander zu verbringen.
Ich schlage meiner Mutter vor, in der Wohnung zu bleiben, wenn es ihr draußen zu heiß ist, und den Spielplatzbesuch ausfallen zu lassen. Und sage ihr, dass ich spätestens um halb sechs wiederkomme. Dann ziehe ich mein Bürokostüm und die Bluse mit dem Eisfleck aus und Jeans und ein Shirt an. Ich nehme das Fahrrad, um pünktlich zu sein. Der Friseursalon ist in derselben Straße wie die Kinderarztpraxis. Ich fahre auf eine rote Ampel zu, dieselbe, die ich gestern mit meinem Sohn auf dem Kindersitz überfahren habe. Ich drehe mich um. Keine Polizei, leider auch nicht der alte Mann von gestern – niemand zu sehen. Ich fahre mit Freude über die rote Ampel und hoffe, dass sich wenigstens irgendjemand im Verborgenen fürchterlich über mich aufregt.
Tönung und
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