Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kann ich gleich zurueckrufen

Kann ich gleich zurueckrufen

Titel: Kann ich gleich zurueckrufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Streidl
Vom Netzwerk:
Schnitt stehen heute an. Eine Weile später sitze ich unter der Wärmehaube, die Haare in Alufolie eingewickelt, und trinke kaltes Wasser. Ich habe keine Lust, eines der Klatschhefte zu lesen, die im Zeitungsständer sind, sondern unterhalte mich lieber mit meiner Friseurin. Sie erzählt mir von einer Kundin, die bis vor kurzem in einer 200-Quadratmeter-Eigentumswohnung in einem teuren Viertel gewohnt hat. Jetzt ist sie umgezogen, in eine Zweieinhalbzimmerwohnung von der Sozialhilfe: als Witwe mit drei Kindern. Ihr Mann ist völlig überraschend gestorben, an einem Herzinfarkt auf dem Rückweg von einer Dienstreise. Beim Start des Flugzeugs ist er bewusstlos geworden. Als sich die Kabinenbesatzung nach dem Start um ihn kümmern wollte, war es schon zu spät. Nun streiten sich die Anwälte der Fluggesellschaft mit dem Anwalt der Witwe um Schadensersatz. Die Witwe überlegt, sich auf einen Job an der Supermarktkasse zu bewerben, um wenigstens ein bisschen Geld zu verdienen – die Witwenrente deckt gerade so ihre Lebenshaltungskosten. Natürlich muss sie die Eigentumswohnung verkaufen, die noch nicht abbezahlt war. Und das zweite Auto. Und die Ferienwohnung im Zillertal. Eine furchtbare Geschichte, schließt die Friseurin. Ich stimme ihr zu. Und ziehe mich dann mit meinen Gedanken unter die Wärmelampe zurück.
    Ich höre immer wieder Geschichten von Frauen, die plötzlich ohne das Geld ihrer Ehemänner dastehen. Natürlich geht dann das Latte-macchiato-Mütter-Gerede wieder los, dass die Frauen ja selbst schuld sind, weil sie, statt arbeiten zu gehen, nur Kaffee und Kinder im Kopf hatten und sich von ihren Männern finanzieren ließen. Das nervt mich gewaltig, dieses »Wir haben’s dir ja gleich gesagt«-Nachtreten! Obwohl es tatsächlich ziemlich naiv und vielleicht auch gewagt ist, sich in finanzielle Abhängigkeit von romantischer Liebe zu begeben. Denn ohne Happyend wird die auch von unserer Bundesregierung nicht mehr beschützt. Stichwort: Unterhaltsrecht. Da Ehen heute nicht mehr so lange halten wie früher, soll das Leben von Männern und ihren Zweit- und Drittfrauen unterstützt und nicht durch finanzielle Verpflichtungen den Erstfrauen gegenüber gestört werden. 17 Geld bekommen die Exfrauen nur noch, wenn die gemeinsamen Kinder unter drei Jahren sind, heißt es im neuen Unterhaltsrecht. Allen anderen ist ein Vollzeitjob zuzumuten – wenn die Kinderbetreuung geregelt ist.
    Das macht mich ganz schön zornig – auf die Politikerinnen und Politiker, die willkürlich modernisieren. Denn das Ehegattensplitting, die staatlich geförderte Hausfrauenehe, die Familien das Einer-verdient-Modell fast schon aufzwingt, wurde bei der Modernisierung des Rechts nicht angetastet. Und die Grundvoraussetzung für entspanntes Arbeiten, nämlich die flächendeckende Kinderbetreuung, ist auch Zukunftsmusik. Zornig wurde ich aber auch auf mich, weil ein großer Teil meines Antriebs, zwölf Monate nach der Geburt meines Kindes wieder arbeiten zu gehen, Angst war. Angst vor finanzieller Abhängigkeit von meinem Mann. Eben weil ich die Gefahren des Lebens einer Latte-macchiato-Mutter kenne. Ich habe gesellschaftliche Entwicklungen über das gestellt, was ich eigentlich empfinde. Ich glaube nämlich an meinen Mann und mich, an unsere Fähigkeit, Probleme zu lösen – was wir auch in der Vergangenheit schon bewiesen haben. Ich glaube an uns und unsere Familie. Abgesehen davon macht mich mein 30-Stunden-Job ökonomisch nicht unabhängig. Mein Gehalt allein deckt meine Lebenskosten und die Kosten für den Kleinen nicht – ohne meinen Mann und sein Einkommen müsste ich mein Leben gewaltig verändern.
    Es klingelt, die Wärmelampe schaltet sich aus. Ich sehe aufs Handy, 16:59 Uhr. Keine Anrufe – weder von meiner Mutter noch aus dem Büro. Während sie mir die Haare wäscht, sagt die Friseurin, dass sie gerne ein Kind hätte. Aber nicht weiß, was sie dann mit ihrem Laden machen soll. Der Salon gehört ihr, sie arbeitet dienstags bis samstags von neun Uhr morgens bis abends um acht. Selbst wenn sie einen Ganztagsplatz in einer Kinderkrippe bekommen würde, wüsste sie nicht, wer dann das Kind ab fünf Uhr nachmittags betreuen solle. Ihr Freund? Und wann würde sie ihr Kind dann sehen?
    Ich frage, ob sie nicht eine Teilhaberin finden kann, die den Salon mit ihr zusammen führt und ihre Arbeitszeit somit verkürzt. Darüber hat sie auch schon nachgedacht, sagt die Friseurin. Doch dann bleibt am Ende des Monats sehr viel weniger Geld

Weitere Kostenlose Bücher