Kann ich gleich zurueckrufen
nie beim Hinbringen oder Abholen gesehen habe. Unter ihnen sind die, die sich am meisten über den Streik aufgeregt haben. Was ich erstaunlich finde – schließlich haben die doch im Alltag nicht viel mit dem Kindergarten zu tun. Ob es diesen Männern ums Prinzip geht? Weil sie etwas, für das sie auch bezahlt haben, immer und ohne Ausnahme vollständig haben wollen? Oder sprechen sie hier im Sinne ihrer Frauen, die durch einen Streik im Kindergarten noch mehr gehetzt sein werden als sonst?
Besonders geschimpft haben zwei Männer. Der eine muss der Vater der Kindergartenzwillinge sein, die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Seine Frau bringt die zwei Mädchen jeden Morgen mit dem Fahrrad zum Kindergarten, die Kinder im Anhänger. Das macht sie auch, wenn es regnet. Nur bei Eis und Schnee kommt sie mit dem Bus. Die Frau wirkt noch gehetzter als ich mich oft fühle: Ihre Kleidung ist ausschließlich funktional, und ihr Blick ist nur auf ihre große, wahrscheinlich wasserdichte Armbanduhr und die Kinder gerichtet. Einmal hat sie gesagt, sie führt eine ambulante Ehe. Weil ihr Mann ständig auf Reisen ist. Heute ist er offensichtlich da, und dann ist er gleich für den Elternabend eingespannt worden. Vielleicht ist er deshalb in Nörgellaune.
Der andere Mann ist elegant gekleidet. Ich habe ihn schon mal mit Frau und Sohn auf dem Spielplatz mit der großen Rutsche gesehen. Er saß am Rand der Sandkiste und las die Financial Times . Neben ihm seine Frau, in einen Roman vertieft. Der Sohn spielte mit Eimer und Schaufel. Irgendwie bekam er Sand in die Augen und lief weinend zu seinen Eltern. Sein Vater sagte: »Du bist ja voller Sand, da fasse ich dich doch nicht an.« Seine Mutter wischte wortlos Sand und Tränen weg. Die Reaktion ihres Mannes, die ich unglaublich fand, kommentierte sie nicht, was ich ebenso unglaublich fand. Dann stand der Mann auf und sah auf seine schwarzen Designerschuhe. »Wenn wir nach Hause kommen, muss ich als Erstes meine Schuhe putzen«, sagte er ärgerlich. Seine Frau meinte, dass ihr Sohn auch voller Sand sei. Das tat der Mann damit ab, das Kind könne einfach in die Badewanne gesteckt werden, die Reinigung seiner Schuhe sei weitaus komplizierter. Ich habe mich von den beiden weggesetzt, weil ich es nicht ertrug, wie der Mann sich verhielt. Und genau dieser Typ regt sich jetzt auf, dass das Personal des Kindergartens einmal einen Tag streikt.
Ich weiß gar nicht, wie viele Mütter im Kindergarten berufstätig sind. Wenn ich sie mir aber ansehe, die Frauen, die morgens ihre Kinder zum Kindergarten bringen – und trotz aller Gleichberechtigungsbemühungen sind es fast nur Frauen –, wirken sie alle nicht sonderlich entspannt. Bestimmt stehen alle berufstätigen Mütter ständig unter Zeitdruck, sind so gehetzt wie ich. Aber wahrscheinlich kennen die Mütter, die nicht arbeiten, das auch: das Gefühl, den Bus nicht mehr zu erreichen, egal wie schnell sie rennen und egal wie zeitig sie losgehen.
Meine Schulfreundin sagt oft, sie bewundert mich dafür, dass ich so schnell nach der Geburt meines Sohnes zurück ins Büro gegangen bin. Und dass sie mich um mein Berufsleben beneidet, auch wenn sie ihre Entscheidung, nicht mehr zu arbeiten, nach wie vor richtig findet. Sie selbst steht ohne Beruf schon unter großem Druck, will alles richtig machen, perfekt sein in dem, was sie tut. Vor allem wenn es um ihre Kinder geht. Davon spricht sie häufig. Du willst eben das Beste für deine Kinder, sage ich immer zu ihr, um sie zu trösten. Ja, sagt meine Freundin dann. Weil ich meine Kinder liebe. Und weil ich unter Beobachtung stehe und allen zeigen will, dass ich nicht versage. Seitdem ich Kinder habe, komme ich mir vor, als wäre ich öffentliches Gut. Sie hat mir vom Artikel einer Journalistin erzählt, die die deutsche Durchschnittsfrau aufgrund dessen, was über sie in Medien, Politik und U-Bahnen so geredet wird, mit einer Labormaus verglichen hat. Lasst mich in Ruhe! war die Überschrift dieses Artikels. 18
Das Gefühl kenne ich auch. Mit meiner Schwangerschaft bin ich vom uninteressanten Individuum zum Gesprächsgegenstand geworden. Weil Kinder etwas sind, das alle angeht. Deshalb wollte mich der Mann in der Kneipe maßregeln, als ich schwanger mit einer Flasche alkoholfreiem Bier dort saß. Deswegen hat mich der Alte ausgeschimpft, als ich mit meinem Kind auf dem Rücksitz über eine rote Ampel geradelt bin. Völlig Fremde mischen sich in die Kindererziehung ein oder beurteilen meine
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