Kann ich gleich zurueckrufen
Elterngeld festhalten.« 39 Ich seufze noch einmal. Wer weiß, wie lange noch. Bundestagsabgeordnete dürfen kein Elterngeld beantragen und nicht in Elternzeit gehen. Dann können sie es auch abschaffen. Eine neue Form von Solidarität, denke ich bitter.
Wenn tatsächlich irgendjemand in der Politik geglaubt hat, allein wegen des Elterngeldes würden die Leute ab Stichtag der Einführung reihenweise Kinder zeugen, ist das so naiv, dass es schon wieder lustig ist. Bei einer Zeugungsentscheidung gibt es immer noch ein paar Dinge, die nicht durch den Bundestag reguliert werden können.
Ich kann mir gut vorstellen, wie dieses neoliberale Gerede eines Politikers meiner jungen Kollegin zu schaffen macht. Gerade sie, die so viel Unsicherheit um sich herum sieht – Job, verheirateter Kindsvater, alleinerziehend –, hätte wenigstens an einer Stelle Gewissheit gebraucht. Also halte ich dagegen: »Es gehört zur Jobbeschreibung eines Spitzenpolitikers, zu reden. Und das, was geredet wird, wird dann durch die Medien noch mal so aufbereitet, dass uns allen die Ohren schlackern. Wahrscheinlich schreibt die Familienministerin bald ein Buch über ihre Schwangerschaft, um zu beweisen, dass es gar kein Problem ist, ein Kind zu bekommen und sofort nach der Geburt wieder zu arbeiten.« Die junge Kollegin lacht kurz. »Ich kann mich noch daran erinnern, wie die Familienministerin gesagt hat, sie wünscht sich, dass mehr Leute auf ehrenamtlicher Basis Alten und Kranken vorsingen würden.« 40
»Dabei geht es gar nicht ums Singen«, sage ich. »Irgendjemand muss sich um unsere Alten und Kranken kümmern, wenn wir es nicht können. Und das hat wiederum mit der Zukunft von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu tun.« Ich sage ihr, dass die ganzen Bemühungen in Sachen Frauenförderung und Verständnis für die Doppelbelastung von berufstätigen Müttern ziemlich schnell zum Erliegen kommen werden, wenn unser Arbeitsmarkt noch mehr geöffnet wird. Gerade im Pflegebereich werden bei uns Fachkräfte gesucht – gute Chancen für qualifizierte Frauen. Trotz des Handicaps Kind. Wenn aber aus anderen Ländern qualifizierte Leute zu uns kommen, die erstens keine Handicaps haben und zweitens womöglich noch viel billiger sind als wir, dann ist es wieder vorbei mit der Frauenförderung.
Sie schaut mich entsetzt an. »Es geht also gar nicht um die Erschaffung einer besseren Welt?« »Nein«, sage ich. »Es geht wie immer ums Geld.« »Das macht mich echt fertig«, sagt sie. Sie greift zu einer Reiswaffel, beißt ab und kaut langsam, fast schon meditativ. »Muss es aber nicht. Es liegt ja an dir, was du aus deinem Leben machst. Und wie du mit Angeboten, zum Beispiel aus der Politik, umgehst.« Ich möchte sie ermuntern, mehr darüber nachzudenken, was sie selbst will, und sich nicht von ihren Ängsten und den vielen Was-wäre-Wenns leiten zu lassen. »Angst ist bei den meisten Entscheidungen eine schlechte Ratgeberin«, sage ich. »Aber auf wen soll ich dann hören?«, fragt die junge Kollegin. »Auf dich selbst«, sage ich. Sie sagt nichts. Gesprächspause, denke ich, vielleicht auch besser so.
Ich beobachte meinen Sohn. Er scheint unsere Unterhaltung zwar wahrgenommen, aber nicht verfolgt zu haben. Ihn interessiert sein Kinderfilm mehr. »Magst du was trinken?«, frage ich ihn. Er schüttelt den Kopf und schaut weiter auf den Bildschirm. Ich gönne ihm die Erholung. Den Film haben wir schon sehr oft zusammen angesehen, er ist wie ein Stück Zuhause für ihn.
Inzwischen ist es 14:01 Uhr. Meine handschriftlichen Aufzeichnungen für das morgige Treffen habe ich so gut wie abgeschlossen. Ich lese noch einmal durch, was ich aufgeschrieben habe, und markiere einige Punkte farbig.
Meine Gedanken kreisen um das Gespräch mit der jungen Kollegin. Ich habe mich auch viel von Angst leiten lassen. Versucht, mich abzusichern, kein Risiko einzugehen, lieber Kompromisse zu machen, als etwas zu wagen. Aus Vernunftgründen vielleicht. Oder aus Bequemlichkeit. Das ärgert mich sehr. Klar, als mein Mann und ich überlegt haben, wie es wäre, ein Kind zu bekommen, haben wir auch über diese Dinge gesprochen, Elterngeld, Elternzeit, ökonomische Sicherheiten. Doch dass wir unser Kind deshalb bekommen haben, weil es dafür Geld vom Staat gegeben hat, das geht mir zu weit.
Ich will mein Leben nicht nach den Vorgaben von Politikerinnen und Politikern ausrichten, ebenso wenig wie ich meinem Vorgesetzten einen zu großen Einfluss auf mein Denken und Handeln einräumen
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