Kannst du mir verzeihen
erklärte sich aber gerne bereit, gemeinsam mit Hanny davon zu kosten.
»Okay, also darf ich Oliver auf meine Liste mit Leuten setzen, die ich bei Gelegenheit mal umbringen sollte?«, fragte Edith, während sie das Huhn Chow Mein teilten.
»Ich dachte, das hättest du schon längst getan?« Hanny grinste.
Edith führte tatsächlich so eine Liste, sie lag zu Hause auf ihrem Flügel. Es standen vor allem die Namen diverser Musiker, Journalisten, Dirigenten und örtlicher Dienstleister darauf, und Hanny war sicher, dass auch Olivers Name bereits dazugehörte. Edith mochte ihn nämlich noch weniger als Hanny.
»Kann sein.« Edith nickte und spieÃte ein weiteres Stück Huhn auf. »Aber ich könnte ihn ganz nach oben setzen.«
Nachdem sie aufgegessen hatten, erklärte Edith, sie wolle nach Hause gehen, und Hanny war nicht unglücklich darüber. Die Auseinandersetzung mit Oliver und das Nachdenken über Coq au Vin und perfekte Küsse hatten sie müde gemacht.
Morgen war auch noch ein Tag.
Ein perfekter Tag für einen perfekten Neuanfang.
Sie hatte geträumt. Es war ein sehr intensiver Traum gewesen, was nichts Ungewöhnliches war, denn Hanny träumte häufig sehr intensiv und konnte sich dann tage-, wochen-, monate-, ja manchmal sogar jahrelang an ihre Träume erinnern.
Oft verwertete sie sie in ihren Zeichnungen. Sie hatte diese Gabe, das Geträumte in Bilder umzusetzen, zumal ihre Träume häufig so realistisch waren. Manchmal sogar realistischer als das echte Leben.
Dieser Traum war so realistisch gewesen, dass sie völlig verwirrt aufwachte und nicht recht wusste, ob der Traum das echte Leben gewesen und das echte Leben nur ein Traum war â doch dann hatte Nancy gegähnt und gequietscht und war quer übers Bett an sie herangetapst und hatte sich schlieÃlich nicht nur seitlich an Hanny gekuschelt, sondern es sich gleich mitten auf ihrem Bauch bequem gemacht. Der schnelle Schlag ihres kleinen Herzens beruhigte Hanny.
Hanny schloss die Augen. Nicht, um wieder einzuschlafen, sondern um den Traum noch einmal zu durchleben.
Diesen verdammt realistischen, völlig verrückten Traum.
Sie war mit Bastian zusammen.
Sie standen Seite an Seite, Hand in Hand. Es war Abend, ein dunkler Abend, so dunkel, dass sie nichts sehen konnte, bis Feuerwerkskörper die schwarze Nacht erhellten.
Und erst da bemerkte sie, dass nicht Bastian ihre Hand hielt, sondern Oliver. Er wandte sich ihr zu und lächelte, als sei es das Normalste der Welt, dass sie beide einem Feuerwerk zusahen und dabei Händchen hielten. Dann näherte sich sein attraktives, aber nicht sehr sympathisches Gesicht ihrem, und er küsste sie ausgiebig und leidenschaftlich auf den Mund. Und während sie ihren Körper gegen seinen drängte und ihm mit den Händen durch die Haare fuhr, erwiderte sie seinen Kuss mit offenkundiger Begeisterung.
Noch bevor sie sich wieder voneinander lösten, öffnete Hanny die Augen und sah Bastian, der sie aus wenigen Metern Entfernung beobachtete. Aus seiner Miene sprachen Schmerz und Verwirrung, und Hanny entfernte sich wenige Zentimeter von Oliver, lächelte knapp und sagte:
»Aber das war doch nur ein Kuss, Bastian. Ein kleiner, popeliger Kuss.«
»Man muss nicht gerade Freud sein, um diesen Traum deuten zu können«, schnaubte Jai später am Telefon.
Hanny verzog das Gesicht. »Ich fasse es nicht, dass ich Oliver geküsst habe ...« Sie verzog das Gesicht noch mehr und streckte angewidert die Zunge heraus, als Jai mit unschuldigem Unterton und böser Absicht fragte: »Mit Zunge?«
»Mit Zunge, mit Zähnen und mit jeder Menge Spucke.« Trotz der Absurdität dieser Vorstellung und trotz der latenten Ãbelkeit, die der Traum ihr verursacht hatte, lachte sie.
Jai zeigte wenig Mitgefühl â er war in Piesacklaune.
»HeiÃt das, dass du in deinem Unterbewusstsein nichts lieber tätest, als heftigst mit Oliver herumzuknutschen? Dass diese ganze âºIch-kann-den-Typen-nicht-ausstehenâ¹-
Nummer nur davon ablenken soll, dass du scharf auf den Kerl bist? Und zwar rattenscharf?«
»Jai!«
Er lachte, wild entschlossen, auch Hanny zum Lachen zu bringen.
»Das ist die Lösung, Hanny, du weiÃt doch: Liebe und Hass liegen oft nah beieinander ...«
»Ich hasse Oliver nicht. Ich mag das Wort nicht, Jai. Es ist so ... so
Weitere Kostenlose Bücher