Kannst du mir verzeihen
ihn im Haus war.
Nicht, dass er jemals viel Lärm gemacht hätte. Was sie vermisste, waren die kleinen, alltäglichen Geräusche: die eines anderen Menschen in der Küche, Musik im Wohnzimmer, der Rasenmäher. Oder sein helles Lachen, wenn er etwas Lustiges im Fernsehen sah. Seine Stimme, wenn er mit jemandem telefonierte. Seine Anekdoten von seinen verrückten Patienten.
Nancy spürte die traurige Stimmung ihres Frauchens und lieà sich nicht von dessen Schoà verscheuchen, solange Hanny arbeitete. Sie leckte Hanny immer wieder am Kinn, bis die Stelle anfing zu jucken. Das Tier sah Hanny so besorgt an, dass diese sich irgendwann über sich selbst und ihren Durchhänger ärgerte und mit neuer Entschlossenheit den Pinsel weglegte.
»Das hat doch keinen Zweck, Nancy. Ein Neuanfang hat nichts mit einer Reise nach Melancholien zu tun!«
Nancy hatte keine Ahnung, wovon Hanny redete, wedelte aber mit dem Schwanz, als stimme sie ihr vollumfänglich zu.
»Also, was machen wir jetzt? Ich muss mich endlich zusammenreiÃen und weiterkommen ...«
In dem Moment erinnerte sie sich an etwas, das Jai gesagt hatte.
»Vielleicht solltest du ihn wirklich küssen, gewissermaÃen aus Rache, vielleicht würdest du dich dann besser fühlen ...«
Natürlich war das nur ein Scherz gewesen, aber ...
Hanny schüttelte den Kopf.
»So ein Quatsch!«, sagte sie laut.
Nancy wedelte wieder mit dem Schwanz.
Hanny nahm den Pinsel zur Hand, um weiterzuarbeiten. Dann legte sie ihn wieder hin.
»Vielleicht würdest du dich dann besser fühlen ...«
Die Worte in ihrem Kopf gaben keine Ruhe.
»So ein Quatsch!«, rief Hanny dieses Mal.
Doch die Worte blieben.
Plötzlich klangen sie gar nicht mehr wie ein Scherz, sondern vielmehr wie eine Lösung. Wie die Rettung.
Wenn sie jetzt genau das Gleiche tat ...
Nur einen kleinen Kuss ...
Vielleicht würde sie sich dann wirklich besser fühlen, oder vielleicht könnte sie es dann besser verstehen.
Hanny war nicht sie . Sie war kein Supermodel aus der Stadt, aber sie war doch sicher auch nicht ganz unattraktiv, schlieÃlich hatte sie im Laufe der Jahre auch so einige Verehrer gehabt. Natürlich nicht so viele, wie Bastian Verehrerinnen gehabt hatte, längst nicht so viele, aber irgendwo da drauÃen gab es doch sicher jemanden, der sie nicht so abstoÃend fand, dass er nicht die Lippen spitzen und sie küssen könnte.
Ein Kuss. Nur ein kleiner Kuss, und schon war aus einer Mücke ein Elefant geworden.
Und wenn sie jetzt das Gleiche machte?
Vielleicht würde sie sich dann besser fühlen, weil sie irgendwie ebenbürtig wären. Doch sie wusste, dass das nicht funktionieren würde. Es würde ihr nur noch schlechter gehen. Es wäre der Anfang vom Ende.
Auf einmal war Hanny wieder zurück in der Realität.
Dieser letzte Gedanke hatte sie aufgerüttelt.
Dieser eine Satz.
Sie waren doch längst über den Punkt hinaus, an dem das Ende anfangen könnte!
Das Ende hatten sie doch schon hinter sich!
Obwohl sie genau wusste, dass es falsch war, marschierte Hanny zum Kühlschrank und entfernte einen Zettel von seiner Tür. Dann ging sie zum Telefon und wählte die Nummer auf dem Zettel.
»Hallo, Ed, ich binâs, Hanny. Ich würde gerne dein Angebot annehmen und einfach nur mal reden ...«
Sie duschte und machte sich ein wenig zurecht. Zwar zog sie sich nichts Besonderes an, aber doch etwas Netteres als die ewigen Jogginghosen der letzten Wochen.
Sie kochte. Etwas ganz Schlichtes. Selbst gemachte Pizza, dazu Salat. Dann deckte sie den Tisch für zwei. Sie stellte etwas Wein kalt und holte das bereits ausreichend gekühlte Augustiner-Bier aus dem Kühlschrank.
Als sie anfing, sich zu fragen, was das alles sollte, redete sie sich ein, es sei dasselbe, wie wenn sie Edith oder Jai zum Abendessen und Klönen bei sich hatte.
Als er dann erst mal da war, ging es ihr etwas besser. Sie gingen sofort wieder so unbeschwert freundschaftlich miteinander um wie neulich in der Zelle. Eddie war richtig nett und so begeistert von dem Essen, dass er die Pizza in null Komma nichts verputzte und Hanny aus dem restlichen Teig gleich noch eine zubereitete, die dann buk, während sie ein zweites Bier tranken.
Nachdem sie etwa eine Stunde lang um den heiÃen Brei geredet hatten, schnitten sie nicht die dritte Pizza, sondern das heikle Tabuthema an,
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