Kannst du mir verzeihen
Gesicht.
»Hanny, du hast Freunde, die dich aufrichtig lieben. Nicht, weil sie es müssen, sondern weil sie dich als Menschen schätzen und weil du so ein wunderbarer, humorvoller Mensch bist ...« Er hielt kurz inne und nahm ihre Hände, um die Ernsthaftigkeit seiner Worte zu unterstreichen und zu verhindern, dass sie wieder wegrollte. »Ein Mensch, der normalerweise so offen ist, der jedem alles nachsieht und stets dazu bereit ist, alles zu besprechen, sich alle Seiten anzuhören und der sich die Ansichten anderer zu Herzen nimmt ...«
»Womit du sagen willst ...?«, unterbrach sie ihn freundlich.
»Womit ich sagen will ... Annie meinte zu mir, und wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich ihr da recht geben ... Also, sie meinte, diese Sache mit Bastian ... Du als die wunderbare, verständnisvolle Hanny, die wir kennen, hättest ihn doch eigentlich schon längst mal zu einem klärenden Gespräch zitiert und alles ausdiskutiert. Annie glaubt darum ... Ich glaube darum ... Wir glauben darum, dass du uns irgendetwas verheimlichst ...«
Zwar konnte Jai ihr keine düsteren Geheimnisse entlocken, aber er konnte sie davon überzeugen, die Garage wieder zu verlassen und in die Küche zurückzukehren, wo alle gespannt wie Flitzbogen auf sie warteten.
Sie waren sich so sicher gewesen, dass Hanny sofort zum Telefon stürzen und vor lauter Freude nicht wissen würde, wen sie zuerst anrufen sollte: Bastian oder den Pastor. Ihre Unruhe konnten sie einfach nicht verstehen.
Woran zweifelte sie noch?
Insbesondere Annie, die innerlich frohlockt hatte, dass ein Grimmâscher Teil ihres Lebens nun den ersehnten märchenhaften Ausgang finden würde, und die gerne die nächste Sektflasche köpfen und sich endlich mal wieder einen neuen Hut kaufen wollte, konnte Hannys Sturheit nicht nachvollziehen. Jetzt fragte sie:
»Findest du das nicht wildromantisch? Stell dir mal vor, was du später deinen Enkeln erzählen kannst! Wir haben uns sooo geliebt, aber dann haben wir uns vollkommen zerstritten. Ein Adventskalender mit lauter bedeutungsvollen Geschenken hat die Wogen geglättet, und dann â tadah!! â kam zum krönenden Abschluss ein Ring. GroÃartig. Ich liebe Heiratsanträge. Habe ich euch schon mal erzählt, dass mir mal jemand auf einem Elefanten einen gemacht hat? Das war in Bengalen, auf einer Exkursion in die Berge ...«
Was folgte, waren die Schilderungen sämtlicher Heiratsanträge, die ihr je gemacht wurden â und das waren einige. In epischer Breite. Die anderen waren selbst so berauscht von Weihnachten und der Romantik, dass sie ihr an den Lippen hingen und Hanny für eine Weile vergaÃen. Selbst Edith, die so gegen alles Etablierte und sogenannte Normale war â insbesondere die Ehe, die in ihren Augen die Abkürzung für »errare humanum est« war â, war ganz aus dem Häuschen.
Als Annie alle ihre Geschichten fertig erzählt hatte, wandten sie sich wieder Hanny zu und warteten gespannt auf die nächste, brandaktuelle Geschichte dieser von einem feinweiÃen Diamanten herbeigeführten Versöhnung.
Dass Hanny noch immer haderte, drang erst zu ihnen durch, als Jai sagte: »Es geht nicht so sehr um das Wie, sondern um das Ob.«
Hanny nahm bereits früh am Morgen zusammen mit Nancy den Fensterplatz auf dem Treppenabsatz ein. Schon bald richteten zwei Paar braune Augen den Blick nach drauÃen und beobachteten Bastian bei seinem täglichen Manöver hin zur Haustür.
Er war immer noch nicht beim Friseur gewesen, sein Pony fiel ihm in die schönen Augen. Im Gegensatz zu ihr selbst hatte er noch mehr abgenommen, das war trotz des warmen Wintermantels und des Schals deutlich zu erkennen. Er sah blass aus. Müde und abgehärmt.
Der Goldjunge hatte noch mehr von seinem Glanz eingebüÃt.
Und doch begann ihr Bauch instinktiv zu kribbeln, als sie ihn sah. Wohlig zu kribbeln. Und auch Nancy freute sich schwanzwedelnd, ihn zu sehen.
»Na, weiÃt du noch, wer das ist, Kleine?«, flüsterte Hanny der nach Welpe duftenden Hundedame ins Ohr, drückte sie an sich und wurde dafür mit einem ziemlich nassen Hundekuss belohnt. »Komisch. So langsam weià ich es auch wieder ...«
Sie sah ihn kommen, und sie sah ihn gehen, ohne sich aus ihrem Versteck vorzuwagen. Am Gartentor blieb er stehen, drehte sich um und sah zum Fenster
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