Kannst du mir verzeihen
hielt Hanny den Zettel vor die Nase.
Mit ihrem grellpinken Fingernagel zeigte sie auf etwas Kleingedrucktes.
Das Datum, an dem die Quittung ausgestellt wurde.
»Oktober.« In Annies Stimme schwang ein Anflug von Triumphgefühl mit. »Erster Oktober. Lange vor ... Vor ... Also ... Lange vor allem.«
Er hatte sich schon vor Monaten vorgenommen, sie zu fragen.
Noch vor der Sache mit Sid.
Noch vor der Sache mit Emma.
Und wenn er sich schon vor Monaten vorgenommen hatte, sie zu fragen, wenn er also schon vor Monaten gewusst hatte, dass er den Rest seines Lebens mit Hanny und niemand anderem als Hanny verbringen wollte, dann ... vielleicht ... Ja, dann war die Sache mit Emma vielleicht wirklich das gewesen, was Hanny die ganze Zeit gehofft hatte, aber eben nicht wirklich glauben konnte: ein groÃer, saudummer Fehler, der nicht so schwer wiegen durfte. Dann hatte Bastian Emma nicht insgeheim über längere Zeit angehimmelt, und der Kuss war keine von ihm aktiv herbeigeführte Erfüllung seiner Sehnsüchte gewesen.
Dann war die ganze Sache wirklich genau so gewesen, wie er es gesagt hatte.
Und wenn es tatsächlich so gewesen war, dann ... Ja, dann hatte er zwar einen Fehler begangen, aber sie hatte mit Abstand einen viel, viel gröÃeren Fehler begangen. Hatte aus einer Mikromücke einen Megaelefanten gemacht.
»Also bin in Wirklichkeit ich hier das Arschloch?«, fragte sie laut.
»Kann schon sein«, entgegnete Edith sarkastisch. Offenbar hatte sie vergessen, dass sie sich benehmen sollte. »Selbstverständlich handelt es sich bei eurer Situation um eine, in der die Vernunft selten eine groÃe Rolle spielt, aber ich muss gestehen, dass es mich trotzdem ziemlich erstaunt, wie wenig Einsicht du in der letzten Zeit an den Tag gelegt hast. Aber jetzt wissen wir ja ...«
Sie brach ab, als ihr klar wurde, was sie da gerade sagen wollte.
Vier ziemlich scharfe Blicke richteten sich auf sie. Die sagten mehr als Worte.
Es war wohl das erste Mal, dass sie Edith verlegen
sahen.
»Gut, ich weiÃ, ich sollte besser ruhig sein ... Aber immerhin, wenn ich das sagen darf: Ende gut, alles gut.«
Jetzt musste sie wirklich zum Schweigen gebracht werden.
Jai stopfte ihr ein Croissant in den Mund.
Mit einem strahlenden Lächeln drehte er sich zu Hanny um.
»Was meinst du? Sollen wir uns nicht mal ein bisschen bewegen? Wie wäre es mit einem kleinen Waldspaziergang mit Nancy?«
Hanny zögerte kurz, dann nickte sie, war aber nicht ganz bei der Sache.
»Gute Idee, ein bisschen frische Luft schadet nicht.«
Sie stand auf und ging zu ihren Gummistiefeln.
»Ãh ... Vielleicht solltest du dich aber doch besser vorher anziehen ...« Jai klang sehr fürsorglich. »Ist doch ein bisschen kalt da drauÃen nur im Nachthemd.«
Zehn Minuten später kehrte sie angezogen in die Küche zurück.
Die anderen warteten bereits auf sie. Nur Annie fehlte.
»Wo ist Oma Annie?«
»Ich hab sie zuletzt im Wohnzimmer gesehen.« Lächelnd wickelte Magnus sich einen Schal um den Hals.
Hanny nickte, setzte sich Richtung Wohnzimmer in Bewegung und rief nach Annie.
»Oma ... Wie sind alle fertig. Kommst du?«
Doch Annie war weit davon entfernt, spaziergangbereit zu sein. Halb saà sie, halb lag sie auf dem Sofa wie Kleopatra, die auf Eselsmilch und geschälte Trauben wartete.
»Wäre es sehr schlimm, wenn ich nicht mitkomme? Ich fühle mich ein bisschen wackelig. Ich glaube, ich bleibe einfach hier vorm Kamin.«
»Wackelig?« Hanny runzelte besorgt die Stirn.
»Stehe irgendwie ein bisschen neben mir, Liebes. War vielleicht alles ein bisschen viel gestern Abend ...«
»Soll ich bei dir bleiben?«
Das war natürlich ein ernst gemeintes Angebot. Dennoch überraschte es Hanny, dass ihre ach so selbstständige »Im Herzen werde ich immer einundzwanzig sein, im Geiste dreiÃig und körperlich topfit«-GroÃmutter sie schwach und dankbar anlächelte. »Würdest du das wirklich tun, Liebes? Ich will dir wirklich nicht den Spaà verderben, aber ... Also, ehrlich gesagt, mir geht es wirklich nicht so gut, ein paar Streicheleinheiten und eine liebevoll servierte Tasse Tee würden mir sicher guttun.«
Streicheleinheiten und eine liebevoll servierte Tasse Tee? Für Annie höchst ungewöhnliche Wünsche.
»Klar. Kein Problem. Ich bleibe. Ich mache dir einen
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