Kanonenfutter
Dumaresq gab sich gewandt wie zu Beginn des Festes; er nickte den scheidenden Portugiesen freundlich zu und küßte behandschuhte Damenhände zum Abschied. Beide schienen von den Menschen, die Bolitho soeben ungewollt hatte streiten hören, himmelweit verschieden zu sein.
Dumaresq sagte: »Ich glaube, meine Offiziere sind mit mir einig in der Begeisterung für diese Festtafel, Mr. Egmont!« Sein Blick haftete nur einen Augenblick auf Bolitho, aber dieser spürte die Frage, als wäre sie laut hinausgeschrien worden. »Ich hoffe, wir können Ihre Freundlichkeit erwi dern. Doch Dienst ist Dienst, wie Sie aus eigener Erfahrung wissen.«
Bolitho schaute in die Runde, aber niemand schien die Spannung zwischen Egmont und dem Kommandanten bemerkt zu haben.
Egmont wandte sich ab und sagte: »Wir wollen uns allen eine gute Nacht wünschen, meine Herren.«
Seine Frau trat vor, doch ihre Augen lagen im Schatten, als sie Dumaresq die Hand hinhielt. »Man könnte auch schon ›Guten Morgen‹ sagen, nicht wahr?« Dumaresq lächelte und küßte ihre Hand. »Sie zu sehen, ist zu jeder Tageszeit ein Genuß, Madam.«
Sein Blick blieb an ihrem halb entblößten Busen haften, und Bolitho lief rot an, als ihm einfiel, was Dumaresq über das Mädchen gesagt hatte, dem sie mit ihrer Kutsche begegnet waren.
Mrs. Egmont schenkte dem Kapitän ein Lächeln, ihre Augen strahlten jetzt im Widerschein des Kerzenlichts. »Dann haben Sie für einen Tag sicher genug gesehen, Sir!«
Dumaresq lachte und nahm seinen Hut von einem Diener in Empfang, während die anderen sich verabschiedeten.
Rhodes wurde gemeinsam aus dem Hause getragen und in eine der wartenden Kutschen gelegt, wo er selig lächelnd weiterschlief.
Palliser murmelte: »Elende Schande!«
Colpoys, den nur seine Eitelkeit davor bewahrt hatte, wie Rhodes zusammenzuklappen, lallte mit schwerer Zunge: »Wunderbarer Abend, Madam.« Als er sich über Mrs. Egmonts Hand beugte, fiel er beinahe vornüber.
Egmont sagte scharf: »Du gehst besser hinein, Aurora, es wird schon feucht und kühl.«
Bolitho sah sie an. Aurora – welch wunderbarer Name. Er holte seinen Hut und machte Anstalten, den anderen zu folgen.
»Nun, Leutnant, haben Si e mir gar nichts zu sagen?«
Sie sah ihn an, wie sie es bei ihrer ersten Begegnung getan hatte, den Kopf leicht zur Seite geneigt.
»Verzeihung, Madam.«
Sie streckte ihm die Hand hin. »Entschuldigen Sie sich nicht so oft. Ich wollte, wir hätten mehr Zeit gehabt, miteinander zu reden, aber es waren zu viele Leute da.« Sie warf den Kopf zurück, und die rubinenbesetzten Schwanzfedern des Schmuckvogels tanzten über ihrem Busen. »Hoffentlich haben Sie sich nicht zu sehr gelangweilt.«
Bolitho bemerkte, daß sie den langen weißen Handschuh ausgezogen hatte, bevor sie ihm die Rechte bot.
Er hielt ihre Finger und sagte: »Ich habe mich nicht gelangweilt, ich war unglücklich. Das ist ein Unterschied.«
Sie zog die Hand zurück; Bolitho fürchtete, er hätte durch seine Plumpheit alles zerstört. Aber Mrs. Egmont warf nur einen Blick auf ihren Mann, der Bulkleys Abschiedsworten zuhörte: dann sagte sie mit weicher Stimme: »Wir dürfen Sie nicht unglücklich sein lassen, Leutnant, nicht wahr?« Sie sah ihn an, und ihre Augen strahlten. »Das würde ich nie tun.«
Bolitho verbeugte sich und murmelte: »Wann darf ich Sie wiedersehen?«
Egmont rief ihm zu: »Kommen Sie, die anderen sind schon gegangen!«
Er schüttelte Bolithos Hand. »Halten Sie Ihren Kommandanten nicht auf, das lohnt sich nicht.«
Bolitho ging zu einer der wartenden Kutschen und kletterte hinein. Aurora wußte also Bescheid und verstand ihn. Nach allem, was er mit angehört hatte, würde sie einen Freund brauchen. Er starrte blicklos in die Dunkelheit, hörte noch ihre Stimme, fühlte wieder den warmen Druck ihrer Finger. »Aurora…« Erschrocken fuhr er hoch, als er merkte, daß er ihren Namen laut ausgesprochen hatte.
Aber er brauchte sich nicht zu beunruhigen. Alle seine Gefährten waren fest eingeschlafen.
Sie wand sich in seinen Armen, lachend und zugleich aufreizend, als er sie festzuhalten, ihre nackten Schultern mit Küssen zu bedecken versuchte.
Bolitho fuhr keuchend und mit jagendem Puls in seiner Koje hoch, weil ihm eine Laterne direkt ins Gesicht leuchtete. Es war Yeames, der Steuermannsmaat, der die Verwirrung des Leutnants und sein langsames Erwachen neugierig beobachtete.
Bolitho fragte: »Welche Zeit haben wir?«
Yeames grinste mitleidlos. »Es ist früher
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