Kanonenfutter
beschattete seine Augen und sah durch das Gewirr der Takelage und Netze, wie seine Leute die widerspenstige Leinwand aufholten und festbanden. In weniger als einer Stunde war die Spannung an Bord ebenso gestiegen wie die Sonne; jetzt, da die San Augustin sich an Steuerbord voraus postiert hatte, merkte er, daß jeder Mann in seiner Nähe davon betroffen war. Die Destiny hatte zwar noch die Luvposition, aber der spanische Kapitän hatte sich zwischen sie und die Einfahrt zur Lagune geschoben.
Rhodes kam nach achtern geschlendert und traf zwischen zwei Zwölfpfündern auf Bolitho.
»Der Kommandant läßt dem Spanier den Vortritt.« Er zog eine Grimasse. »Ich muß sagen, da stimme ich ihm zu. Ich mag keinen einseitigen Kampf, es sei denn, die Vorteile wären auf meiner Seite.« Er warf einen schnellen Blick zum Achterdeck und senkte die Stimme. »Was halten Sie jetzt von unserem ›Herrn und Meister‹?«
Bolitho zuckte die Schultern. »Ich schwanke zwischen Bewunderung und Verachtung. Ich verachte die Art, wie er mich benutzt hat. Er muß gewußt haben, daß Egmont selbst Garricks Insel niemals verraten hätte.«
Rhodes spitzte die Lippen. »Also war es seine Frau.« Er stockte.
»Sind Sie über die Affäre hinweg, Dick?«
Bolitho schaute hinüber zur Sa n Augustin , auf ihre weit auswehenden Wimpel und die weiße Kriegsflagge Spaniens, und schwieg.
Rhodes blieb hartnäckig. »Bei all diesem Wahnsinn, in dem wir wahrscheinlich wegen einer weit zurückliegenden Sache aufgerieben werden, können Sie sich noch in Liebe zu einer Frau verzehren?«
Bolitho sah ihn an. »Darüber we rde ich nie hinwegkommen. Wenn Sie Aurora so gesehen hätten…«
Rhodes lächelte resignierend: »Mein Gott, Dick, ich verschwende meine Zeit. Wenn wir nach England zurückkehren, werde ich sehen, was ich anstellen kann, um Sie aufzumuntern.«
Beide fuhren herum, als ein Schuß über das Wasser dröhnte. Die Kugel warf eine dünne Wassersäule in direkter Verlängerung des Bugspriets des Spaniers auf.
Dumaresq schimpfte: »Gott im Himmel, die Lumpen schießen als erste!«
Mehrere Teleskope richteten sich auf die Insel, aber niemand entdeckte die versteckte Kanone.
Palliser sagte säuerlich: »Das war nur eine Warnung. Ich hoffe, der Don hat genug Verstand, um sie zu beachten. Diese Angelegenheit verlangt listiges Vorgehen und schnelles Handeln, keinen direkten Angriff.«
Dumaresq lächelte. »So, tut sie das? Sie fangen an, wie ein Admiral zu reden, Mr. Palliser. Ich muß mich wohl in acht nehmen.«
Bolitho beobachtete scharf das spanische Schiff. Es verhielt sich, als wäre nichts geschehen, und steuerte immer noch auf die nächste Landspitze zu, wo die Lagune begann.
Einige Kormorane erhoben sich von der See, als die beiden Schiffe an ihnen vorbeisegelten, und kreisten dann über ihnen. Wie Adler, dachte Bolitho.
»An Deck: Rauch über dem Hügel, Sir!«
Die Teleskope schwenkten herum wi e leichte Geschützrohre.
Bolitho hörte Clow, einen der Stückmeistersmaaten, sagen: »Der kommt von einem verdammten Ofen. Die Teufel wollen den Dons mit glühenden Kanonenkugeln einheizen.«
Bolitho feuchtete sich die Lippen an. Sein Vater hatte ihn oft gewarnt, wie töricht es sei, ein Schiff gegen eine befestigte Landbatterie anrennen zu lassen. Wenn die an Land glühende Kugeln benutzten, konnten sie jedes Schiff binnen kurzem in einen Scheiterhaufen ve rwandeln. Von der Sonne ausgetrocknetes Holz, Teer, Farbe und Leinwand fingen schnell Feuer, und wenn nicht sofort gelöscht we rden konnte, tat der Wind das übrige.
Etwas wie ein Seufzer lief das Deck entlang, als sich die Stückpforten der Sa n Augusti n gleichzeitig öffneten und ihre Kanonen auf ein Trompetensignal hin ausgerannt wurden. Auf die Entfernung sahen sie aus wie schwarze Zähne im makellosen Gebiß ihrer Bordwand: schwarz und tödlich.
Der Schiffsarzt trat zu Bolitho an den Zwölfpfünder; seine Brillengläser glitzerten im Sonnenlicht. Mit Rücksicht auf die Männer, die vielleicht schon bald seine Dienste benötigten, hatte er darauf verzichtet, seine Schürze anzulegen.
»Es macht mich nervös wie eine Katze, wenn sich dies weiter so in die Länge zieht.«
Bolitho verstand ihn. Unten im Orlopdeck, wo es nur künstliches Licht gab und keine frische Luft, wirkten alle Geräusche vom Oberdeck verzerrt. Er sagte: »Ich glaube, der Spanier will sich die Einfahrt mit Gewalt erzwingen.«
Während er noch sprach, setzte das andere Schiff Bramsegel und fiel etwas ab, um
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