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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Fenster oder Türen aufwiesen. Dass es nicht vollkommen finster war, verdankte sie sowohl einigen Lampen, von denen ein matter, angenehmer Schein ausging, als auch der Luft: Jedes einzelne Molekül schien zu glühen, wodurch die ganze Szene etwas Unwirkliches bekam.
    »Dies ist eine Welt der Potenzialitäten«, sagte sie leise zu sich selbst. »Vielleicht hat das, was ich hier sehe und erfahre, eine ähnlich symbolische Bedeutung wie das, was ich damals auf Tintiran erlebt habe, beim Kontakt mit einem der fünf Steine …«
    Sie blieb ruhig und davon überzeugt, jederzeit auf die Hilfe von Mutter Krir zurückgreifen zu können. Eine konkrete Gefahr schien von der aktuellen Situation nicht auszugehen.
    Lidia trat in die Mitte des Zimmers und stützte die Hände an die Hüften.
    »Na schön«, sagte sie laut. »Wer bist du?«
    Der Schatten kam durch die Tür, die plötzlich wieder existierte. »Hast du gut geschlafen, Lidia?«
    Sie wollte sich diesmal nicht ablenken lassen. »Wer bist du?«, fragte sie. »Und was hat dies alles zu bedeuten?«
    »Oh, ich bin du, und ich bin ich, und ich bin wir«, raunte die dunkle Gestalt. Sie veränderte sich, während sie diese Worte wisperte. Ein Gesicht erschien, und Lidia hatte zunächst das Gefühl, in einen Spiegel zu blicken. Doch dann wurde ihr Spiegelbild durch das vertraute Gesicht eines jungen Mannes ersetzt. »Dorian?« Die eine Hälfte des Männergesichts wurde transparent, ließ nun wieder Lidias Züge durchscheinen. Die beiden unterschiedlichen Gesichtshälften waren jetzt zu einer Einheit verschmolzen.
    »Gib zu, dass du mich gesucht hast«, sagte der Schatten mit Valdorians Gesicht. Dies war nicht der Greis, den Lidia mithilfe des Steins gesehen hatte, sondern der junge, überhebliche, viel zu sehr von sich eingenommene und gleichzeitig schrecklich naive und unerfahrene Dorian.
    »Ich nehme an, Sie sind eine Art Projektion meines Unterbewusstseins«, sagte Lidia.
    »Glaubst du?«, erwiderte der Schatten und streckte die Hand aus. »Kann etwas aus deinem Unterbewusstsein Substanz haben?«
    Vorsichtig berührte Lidia die Hand, und es wiederholte sich der Eindruck von Kälte, den sie zuvor bei dem kristallenen Humanoiden gewonnen hatte. Erschrocken zog sie die eigene Hand zurück und rechnete halb damit, dass auch der Schatten zerfiel. Aber er lächelte nur, mit dem Gesicht des jungen Valdorian, der irgendwo dort draußen lebte, in der linearen Zeit.
    »Du hast mich gesucht, nicht wahr?«
    »Hoffen Sie um Ihrer Selbstachtung willen auf ein Ja?«, entgegnete Lidia scharf. »Nein, ich habe Sie nicht gesucht, Dorian«, fuhr sie sanfter fort. »Wir haben uns beide entschieden, damals in Bellavista auf Tintiran. Sie haben Ihren Weg gewählt und ich den meinen.«
    Valdorians Züge verhärteten sich. »Du bist dumm gewesen. Inzwischen hattest du Zeit genug, deinen Fehler einzusehen.«
    »Ich habe meine Wahl getroffen.«
    »Ist dir noch immer nicht klar, worauf du verzichtet hast?«, fragte Valdorian ungläubig. »Jeden Wunsch hätte ich dir erfüllen können. Jeden. «
    »Auch den nach Glück? Hätten Sie mich glücklich machen können?«
    Der Schatten winkte mit der rechten Hand, und das große Wohnzimmer verschwand. Von einem Augenblick zum anderen standen sie auf einer Wiese, umgeben von den hohen, jahrhundertealten Bäumen eines Parks. Kinder tollten herum. Hier und dort saßen Erwachsene auf ausgebreiteten Decken. »Das sind wir«, sagte die dunkle Gestalt und deutete auf ein Paar. Lidia sah sich selbst neben Valdorian: Sie sprachen miteinander und lachten. »Und das sind unsere Kinder.«
    Eine sonderbare Trauer – die Trauer des Verzichts – erfasste Lidia, als ihr Blick zu den spielenden Kindern glitt.
    »Ein Junge und ein Mädchen«, sagte der Schatten. »Leonard und Francy.«
    Lidia erkannte sie sofort, denn die Ähnlichkeit war offensichtlich. Beide Kinder hatte ihr schwarzes Haar und ihre Züge. Es waren ihr Sohn und ihre Tochter …
    »Ist das kein Glück?«, fragte die dunkle Gestalt. »Die Mutter meiner Kinder hättest du sein können, und eine Königin noch dazu. Stattdessen bist du Kantaki-Pilotin geworden, ohne etwas zu besitzen, ohne irgendetwas bewirken zu können. Und jetzt bist du auch noch in der nichtlinearen Zeit gefangen.«
    Aber ich habe die Ewigkeit berührt, dachte Lidia. Und ich weiß, wie sich die Unendlichkeit anfühlt.
    Dann hörte sie noch einmal die letzten Worte des Schattens, wie ein mentales Echo, und Hoffnung erwachte in ihr.
    »Können

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