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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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heißen Sonne über der Stadt.
    Lidia setzte einen Fuß vor den anderen, näherte sich der Pendeltür, lauschte dem Flüstern und versuchte, eine Botschaft zu verstehen. Aber es blieb bei dem wortlosen Raunen, das seinen Ursprung noch immer hinter ihr zu haben schien.
    Als sie die Pendeltür erreichte, verharrte sie erneut und sah noch einmal in die Richtung, aus der sie gekommen war. Die graue Wand war ihr gefolgt und hatte den Korridor verschluckt, durch den sie gerade gegangen war – es gab keinen Weg zurück für sie.
    Behutsam drückte Lidia die Pendeltür auf und betrat einen großen Raum, der ihr wie ein Ballsaal erschien. Der Boden bestand aus Fliesen in allen Farben des Spektrums, aber auch hier bemerkte sie einen sonderbaren Grauschleier. Lichter tanzten unter der hohen, aus einem holzartigen Material bestehenden Decke, schufen ständig in Veränderung begriffene Schattenmuster, die im Saal hin und her glitten.
    Kristallene Tänzer standen auf den Fliesen, reglos und stumm, wie in einem zeitlosen Moment erstarrt.
    Lidia näherte sich den Gestalten vorsichtig. Es waren Dutzende, und sie alle reichten ihr höchstens bis zum Kinn. Humanoide Geschöpfe, kleiner als Menschen, und mit einem Körper, der nicht aus Fleisch und Knochen bestand, sondern aus zahllosen schimmernden Kristallen, die ebenso ineinander verkeilt wirkten wie die Gebäude der Stadt. Die Fraktale der La-Kimesch fielen ihr ein. Jenes alte Volk, das vor zweiundzwanzig Millionen Jahren ausgestorben war, hatte große Muster im Kleinen wiederholt, und umgekehrt. Diese kristallenen Gestalten … Waren es La-Kimesch?
    Das Flüstern verklang, als Lidia an den ersten Fremden herantrat und ihn aus der Nähe betrachtete. Auch das Gesicht bestand aus Kristallen, die keinen Hinweis darauf boten, wo sich Mund, Nase und Augen befanden – oder ob es so etwas überhaupt gab. Neugierig streckte Lidia die Hand aus und berührte die Gestalt.
    Wieder gewann sie den Eindruck von eisiger Kälte, und es klirrte leise.
    Dann zerbrach die Gestalt.
    Dünne Frakturlinien gingen von der Stelle aus, die Lidia berührt hatte, wuchsen schnell und lösten die einzelnen Kristalle aus dem Verbund. Sie fielen zu Boden, bildeten einen glitzernden Haufen auf den bunten Fliesen.
    Erschrocken wich Lidia zurück.
    Wieder raunte es, aus allen Richtungen, mehrere Stimmen, untermalt von so leiser Musik, dass Lidia sich konzentrieren musste, um sie zu hören. Es war eine melancholische, traurige Melodie, die zur Atmosphäre von Graue und Düsternis passte.
    »Es … es tut mir Leid«, sagte Lidia. »Ich wollte nicht … Ich möchte niemandem Schaden zufügen.«
    War die kristallene Gestalt eine Person gewesen, lebendig in einer anderen Dimension und in einer anderen Zeit? Oder handelte es sich um Statuen, von Künstlerhand geschaffen?
    Auf der andere Seite des Saals bewegte sich etwas.
    »Ich wollte nicht … Ich meine, ich wusste nicht …«, stotterte Lidia. Sie kam sich töricht und dumm vor angesichts einer Situation, die sie nicht verstand. Hatte sie wirklich mit einer Mischung aus Unachtsamkeit und Unkenntnis ein Lebewesen umgebracht? Alles in ihr sträubte sich dagegen, so etwas für möglich zu halten, denn es hätte eine schwere Bürde aus Schuld bedeutet.
    Der Schatten auf der anderen Seite des Saals bewegte sich erneut, und diesmal sah Lidia ihn besser. Er beschränkte sich nicht auf zwei Dimensionen wie ein gewöhnlicher Schatten, sondern hatte deren drei. Eine dunkle Gestalt, ohne Kleidung und ohne Gesicht, einfach nur schwarz.
    »Hallo, hören Sie mich?«, fragte Lidia laut, während im Hintergrund, irgendwo in der Ferne, noch immer die leise, traurige Musik erklang. Langsam ging sie über die Fliesen, vorbei an den kristallenen Humanoiden, darauf bedacht, keinen von ihnen zu berühren. Der Schein der mobilen Lichter unter der hohen Decke spiegelte sich auf zahllosen Facetten wider und schuf gelegentlich die Illusion von Bewegung. Während Lidia den Saal durchquerte, blieb ihr Blick auf den Schatten gerichtet, der reglos neben einem dunklen, offenen Torbogen verharrte. Nur einmal blickte sie kurz über die Schulter und stellte fest, dass ihr die graue Wand noch immer folgte und alles hinter ihr verschlang, auch die kristallenen Gestalten.
    »Du hast mich gesucht, nicht wahr?«, flüsterte der Schatten.
    »Wer … sind Sie?«, fragte Lidia verwundert, als die letzten kristallenen Humanoiden hinter ihr zurückblieben. Nur noch wenige Meter trennten sie von dem Schatten. Sie

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