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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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anstimmten, das wie Hintergrundmusik klang. »Die alten Nester erinnern uns daran, was wir einst gewesen sind. Ursprung und Herkunft dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Wer den Anfang des Weges nicht mehr kennt, verliert das Ziel aus den Augen.«
    Als sie tiefer in die Tunnel- und Höhlenstadt gelangten, die Mutter Krir »Nest« nannte, spürte Lidia jene dimensionalen Verzerrungen, die sie von Bord des Kantaki-Schiffes her kannte. Aber sie waren nicht so stark wie dort, machten sich wie ein sanftes Zerren an den Sinnen bemerkbar und schufen ein vages Gefühl der Desorientierung, mit dem Lidia jedoch mühelos fertig wurde.
    Unterwegs begegneten sie nur wenigen anderen Kantaki, und sie alle begrüßten Mutter Krir mit Gesten, in denen Lidia großen Respekt erkannte. Immerhin gehörte sie zu den Großen Fünf, die wichtige Entscheidungen für alle Kantaki trafen.
    Säulen mit Kantaki-Symbolen, zu Fünfer-Gruppen angeordnet, ragten empor, bestehend aus Obsidian, schwarz wie die Nacht. Die Wände der Höhlen und Grotten wiesen fünfeckige Nischen auf, wie Waben oder Alkoven für Eier, aus denen später Junge schlüpften, nachdem sie wie Mutter Krirs Kinder von den fünf Großen Kosmischen Zeitaltern geträumt hatten. Stege aus Stein spannten sich zwischen ihnen, führten in komplexen Mustern durch die Kavernen, und Lidia drängte sich der Vergleich von Straßen auf. Fast überall glühten die Flechten und bildeten ein natürliches Beleuchtungssystem. Wo sie fehlten, brachten Symbole Botschaften aus fernster Vergangenheit. Manche Wände, Dutzende von Metern hoch, zeigten Piktogramme: Szenen aus dem Kantaki-Leben während der Dritten Ära, Mythen, die Ursprung und Zukunft miteinander verbanden. Technik – von den glühenden Projektionen einmal abgesehen – blieb im Hintergrund. Lidia musste genau Ausschau halten, um die einzelnen Module eines Belüftungssystems zu erkennen, und manchmal bemerkte sie halb im Schatten verborgene Levitatoren und Datenservi.
    Die schaukelnden Bewegungen von Mutter Krir bescherten ihr eine angenehme Benommenheit, und nach einer Weile fielen ihr die Augen zu. Im Halbschlaf träumte sie von Kindern – sie wusste nicht, ob es Kantaki oder Menschen waren; sie genoss es nur, sie zu umarmen. Irgendwann blieb Mutter Krir stehen, und dadurch erwachte Lidia. Sie war ganz auf den Rücken der alten Kantaki gesunken, hob den Kopf und sah sofort, dass sie einen besonderen Ort erreicht hatten. Mutter Krir stand im Zugang einer Grotte, deren Wände keine Nischen aufwiesen, von denen aber ebenfalls steinerne Stege ausgingen: Sie wirkten wie Arme, die sich der Höhlenmitte entgegenstreckten und dort ein schwarzes Fünfeck hielten, das ebenfalls aus Obsidian bestand, wie die Säulen mit den Symbolen. In der Grotte fehlten die fluoreszierenden Flechten, aber es war trotzdem nicht dunkel. Mattes Licht drang aus dem Fünfeck.
    Es klickte.
    »Dies ist höchst ungewöhnlich«, kam es aus dem kleinen Lautsprecher von Lidias Linguator. Vor Mutter Krir stand ein anderer Kantaki, kleiner, die Gliedmaßen graubraun. Lidia hatte Mutter Krir immer für sehr alt gehalten, aber im Vergleich mit dem anderen Kantaki wirkte sie geradezu jung. Er war in eine Aura von Greisenhaftigkeit gehüllt, und die langsamen, bedächtigen Bewegungen seiner Gliedmaßen verstärkten diesen Eindruck. Die beiden multiplen Augen in seinem dreieckigen Kopf wirkten matt.
    »Es mag ungewöhnlich sein, Kustos Mror«, erwiderte Mutter Krir. »Aber der Sakrale Kodex verbietet es nicht.«
    »Wir haben Fremden nie gestattet, die Pluriallinse zu benutzen«, wandte der uralte Mror ein. Sein Klicken klang rauer.
    »Fremde haben nie eine entsprechende Bitte an uns gerichtet, Kustos. Dies ist die Pilotin meines Schiffes. Wir gerieten in die nichtlineare Zeit, und sie hat uns zurückgebracht. Sie schlief bei meinen Kindern und träumte mit ihnen von den Großen Kosmischen Zeitaltern. In einer anderen Welt hat sie Kinder, deren Nähe sie vermisst.« Mutter Krir fügte einige Klicklaute hinzu, mit denen Lidias Linguator nichts anfangen konnte, und daraufhin senkte Mror den Kopf.
    »Ich verstehe«, sagte er und wich beiseite. »Natürlich. Die Linse steht zur Verfügung.«
    Mutter Krir wankte in die Grotte, und Lidia spürte, wie es kühler wurde – die Temperatur schien hier um mindestens zehn Grad niedriger zu sein als in den übrigen Höhlen. Außerdem offenbarte sich ihr ein ähnliches Empfinden wie in der Sakralen Pagode von Bellavista auf Tintiran:

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