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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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interstellare Geschehen entstehen. Das war der Hauptgrund für Lidias Zorn. Sie wollte sich nicht fremd fühlen auf den ihr bekannten Welten, erst recht nicht auf Tintiran.
    Fast ohne sich dessen bewusst zu sein, schritt sie durch den Eingang des Museums, das sie damals, während des Studiums, so oft besucht hatte, auch zusammen mit Valdorian. Aus irgendeinem Grund war es nicht geschlossen wie die Läden, aber es überraschte Lidia nicht, keine anderen Besucher anzutreffen. Derzeit regierte Angst in Bellavista, auf ganz Tintiran, und wer sah sich unter solchen Umständen irgendwelche Ausstellungen in einem Museum an?
    »Zum Beispiel eine Kantaki-Pilotin wie du«, sagte Lidia halblaut. Sie zögerte im Eingangsbereich und fragte sich, ob sie zum Raumhaufen und zu Grars Schiff zurückkehren sollte. Eigentlich war sie nicht wegen der Ausstellung gelandet, begriff sie jetzt, sondern mit der irrigen Hoffnung, einen Unterschied zu bewirken, Tintiran irgendwie vor dem Krieg und damit vor einschneidenden Veränderungen bewahren zu können. Aber dazu reichte ihr Einfluss bei weitem nicht aus. Sie seufzte und fühlte, wie der Zorn aus ihr wich. Übrig blieben Kummer und auch Resignation. »Da ich schon einmal hier bin  … «, murmelte sie und betrat den Ausstellungssaal.
    Eine kugelförmige Informationsdrohne schwebte ihr entgegen. »Guten Tag, verehrte Besucherin«, erklang eine melodische Stimme. »Wünschen Sie eine Führung?«
    Lidia zögerte kurz und stellte fest, dass sie sich ein wenig Gesellschaft wünschte, selbst wenn es nur die einer Drohne war.
    »Ja«, sagte sie.
    »Sind Sie mit den Xurr vertraut?«
    »Einigermaßen«, erwiderte Lidia und wusste, dass sie untertrieb. Sie hatte sich immer für die Xurr interessiert und jede Möglichkeit genutzt, mehr über sie zu erfahren. Ganz deutlich erinnerte sie sich an das Labyrinth auf Guraki – und an die Nachricht, dass ein Planetenfresser jene Welt zerstört hatte. Eines der schmerzlichsten Opfer des Krieges. »Ich weiß, dass sie vor hunderttausend Jahren aus dem galaktischen Kern kamen, auf der Flucht vor den Toukwan …«
    Das Summen der Informationsdrohne veränderte sich. »Dieser Begriff ist nicht in meiner Datenbank enthalten«, ertönte die synthetische Stimme. »Wenn Sie über neue Informationen verfügen, so wenden Sie sich bitte an den Direktor des Museums …«
    Die restlichen Worte verloren sich in einer Art mentalem Hintergrundrauschen. Lidia war inzwischen an die Vitrine mit dem ersten Ausstellungsstück herangetreten, einem Artefakt aus mumifiziertem Gewebe und metallenen Schaltelementen. Es stammte von Corhin, einem abgelegenen Planeten, auf dem eine weitere Xurr-Kolonie entdeckt worden war, nicht von dem vor Jahren verstorben Hofener – sein Tod erinnerte Lidia daran, wie schnell der Zeitstrom floss –, sondern von einem seiner Schüler, Angar Ruthman. Sie erinnerte sich plötzlich an Floyds Welt in der nichtlinearen Zeit, an die Begegnung mit dem Schatten und zwei ganz besondere Bücher. Eines hatte sie gelesen, den Roman »Die Türme des Irgendwo« von ihrem Vater Roald DiKastro. Das andere stammte von Kulmar Hofener und hieß »Der Exodus der Xurr«. Sie hatte es nur kurz in den Händen gehalten und einige wenige Passagen überflogen. Zwei Bücher, geschrieben nicht in diesem Kosmos, sondern in irgendeinem Paralleluniversum des Plurials.
    »Wie konnte ich das vergessen?«, murmelte Lidia und starrte auf das Artefakt, ohne es zu sehen, hörte auch nicht mehr die Stimme der Informationsdrohne. Die Erinnerung an das Buch jenes Hofeners, dem in einem anderen Universum die Übersetzung der Xurr-Hieroglyphen gelungen war, hatte in einer fernen, dunklen Ecke ihres Selbst geruht, wie ausgesondert von einem speziellen Mechanismus, der mögliche Dinge aus der nichtlinearen Zeit von den realen Dingen der linearen Existenz trennte. Sie bedauerte plötzlich, jene beiden Bücher nicht mitgenommen zu haben – ein Roman zu Ehren ihres Vaters und ein wissenschaftliches Werk, das die Xurr-Forschung enorm vorangebracht hätte, allen damit verbundenen Paradoxa zum Trotz. Einige Sekunden lang gab sie sich einem Zorn hin, der ihrem jüngeren Selbst galt und noch heftiger war als der Zorn auf den Krieg.
    »Nein«, sagte Lidia, als sie schließlich aus der Starre erwachte. »Ich habe keine neuen Daten.« Sie ging weiter, während die dahinschwebende Drohne ihren Vortrag fortsetzte. Einige Artefakte, so erfuhr sie, waren vor Jahrtausenden einmal Bestandteile eines

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