Kantaki 01 - Diamant
klar genug ausgedrückt? Weg mit der Waffe! «
Entschlossenheit, verletzter Stolz und Unsicherheit rangen im Gesicht des jungen Mannes miteinander. Der ältere Soldat wandte sich vom Generator ab, kam näher, schob seine Waffe demonstrativ ins Gürtelhalfter und schickte den jungen Mann mit einem knappen Wink fort. »Bitte entschuldigen Sie«, sagte er. »Wir sind bemüht, den Bürgern von Tintiran so wenig Unannehmlichkeiten wie möglich zu bereiten.«
»Wie nett von ihnen«, erwiderte Lidia spöttisch. »Sie hätten ihnen überhaupt keine Unannehmlichkeiten bereitet, wenn Sie gar nicht erst hierher gekommen wären.«
»Man hat uns hierher geschickt « , sagte der Mann ruhig. »Es war nicht unsere Entscheidung. Wir folgen nur unseren Anweisungen.« Er winkte erneut, und der zum Generator zurückgekehrte junge Soldat betätigte Kontrollen. Eine Strukturlücke bildete sich in der energetischen Barriere, und Lidia sah, dass auf der anderen Seite der Absperrung zwei Fahrzeuge durchsucht wurden. Der Offizier – Lidia wusste die Rangabzeichen an seinem Kampfanzug nicht zu deuten, aber Alter und Verhalten deuteten auf einen Offizier hin – bemerkte ihren Blick. »Die planetare Verwaltung hat Tintirans Übernahme durch die Allianz offiziell akzeptiert, aber leider haben einige Bewohner dieses Planeten beschlossen, aktiven Widerstand zu leisten. Was uns zu präventiven Maßnahmen zwingt. Dafür bitten wir um Verständnis.«
Lidia sah ihm zornig in die Augen. »Sie haben auch noch die Unverschämtheit, um Verständnis zu bitten? Sie sind hier unerwünscht ! Sie haben einem friedlichen Planeten Krieg gebracht, und dafür bitten Sie um Verständnis?«
Der Offizier wich ihrem Blick nicht aus. »Sie sind Kantaki-Pilotin. Niemand sagt Ihnen, was Sie zu tun und zu lassen haben. Sie sind frei, freier als die meisten Menschen. Ich hingegen gehöre zu den Streitkräften der Allianz. Ich habe einen Befehl erhalten, und den muss ich ausführen, ob mir das gefällt oder nicht. Dafür bitte ich Sie um Verständnis.«
Zorn brodelte in Lidia, als sie sich abrupt von dem Offizier abwandte und durch die Strukturlücke trat. Der Mann hatte Recht, das wusste sie, er war ein Befehlsempfänger, aber das bedeutete keineswegs, dass nicht auch ihn ein Teil der Verantwortung traf. Während sie den Weg durch die sonderbar leer wirkende Stadt fortsetzte und weitere Kontrollpunkte passierte – man hielt sie nicht noch einmal an; vielleicht hatte der Offizier die anderen Soldaten davon informiert, dass eine ziemlich schlecht gelaunte Kantaki-Pilotin in Bellavista unterwegs war –, dachte sie über ihre emotionalen Reaktionen auf das aktuelle Geschehen nach und gelangte zu dem Schluss, dass es dafür mehrere Gründe gab. Ja, es ärgerte sie, dass die Kantaki nichts gegen den Krieg unternahmen, dass sie ihn sogar ermöglichten, so wie andere interstellare Konflikte in der Vergangenheit. Es ärgerte sie auch, dass Tintiran seine Freiheit verlor – obwohl sie sich eingestehen musste, dass es letztendlich für die Bürger kaum eine Rolle spielte, ob der Planet zum Konsortium gehörte oder zur Allianz. Doch der dritte und wichtigste Grund für ihren Zorn hieß Veränderung.
Je länger sie abseits des Zeitstroms weilte und sich ihre Jugend bewahrte, je mehr objektive Zeit verstrich, desto mehr veränderte sich die Welt, in die sie gelegentlich zurückkehrte. Und der zwischen den beiden größten Machtblöcken im vom Menschen besiedelten All stattfindende Krieg beschleunigte eine Veränderung, die ohnehin stattfand. Früher war es ein langsamer schleichender Prozess gewesen. Vertraute Personen starben, und andere, unvertraute, nahmen ihren Platz ein. Städte wuchsen oder schrumpften, gewannen oder verloren an Bedeutung, entwickelten sich wie lebende Organismen. Alte Gebäude wichen neuen. Industrie-Anlagen verdrängten Wälder, passten Aussehen und Struktur ganzer Kontinente ihren Erfordernissen an. Auf allen Ebenen fand eine unaufhaltsame Evolution statt, die immer mehr Distanz zwischen Lidia und der Realität des Zeitstroms schuf. Das wusste sie, und daran hatte sie sich im Lauf der Jahre gewöhnt. Sie war auch imstande, wie die so lebensfreudige und optimistische Esmeralda Positives in diesen langsamen, stetigen Veränderungen zu sehen, denn sie ermöglichten selbst dort neue Entdeckungen, wo man bereits alles entdeckt hatte. Aber der Krieg führte auf hunderten von Welten zu drastischen Umwälzungen und ließ eine ganz neue Bühne für das
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