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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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semiorganischen Datenservos gewesen, und in einem pseudorealen Elaborat äußerte Ruthman seine Theorien und Vermutungen dazu. Ein junger Mann, stellte Lidia fest, das Gesicht ernst, die Augen groß, voller Leidenschaft und Engagement, jemand, der für und mit der Xurr-Archäologie lebte. Auf Corhin hatte man eine bemerkenswert große Stadt der Xurr entdeckt, unter einer dicken Schicht aus Sedimenten, und Ruthman brachte die Hoffnung zum Ausdruck, dort Antworten auf viele Fragen über jenes uralte Volk zu finden, das vor zehntausend Jahren plötzlich verschwunden war. Lidia stellte sich organische Raumschiffe vor, die ebenso schnell flogen wie Kantaki-Schiffe, Raumschiffe, die ihre Ziele erreichten, ohne dass man sie im Transraum mit Fäden verbinden musste, die keine Löcher in die Struktur der Raum-Zeit rissen, so wie die Sprunggeneratoren der Horgh. Eine dritte Möglichkeit, interstellare Entfernungen zu überwinden – und sie war mit den Xurr verschwunden, vor zehn Jahrtausenden.
    Lidia ging von einer Vitrine zur anderen, von einem Saal zum nächsten, in einem Museum, in dem sich außer ihr niemand sonst aufhielt, begleitet von einer Informationsdrohne, die einen gespeicherten Vortrag nach dem anderen hielt. Sie betrachtete als Kunstobjekte klassifizierte Gegenstände, manche von ihnen ausgestattet mit den verschnörkelten Symbolen, deren Bedeutung Hofener in einem anderen Universum entschlüsselt hatte. Sie fragte sich, wer die Toukwan gewesen sein mochten, jene mysteriösen Feinde, vor denen die Xurr aus dem galaktischen Zentrum geflohen waren – falls der andere Hofener Recht hatte. In diesem Universum hatten die Archäologen noch keinen Hinweis auf »die Fehlgeleiteten« gefunden. Waren sie zusammen mit den Xurr verschwunden, ihnen vielleicht gefolgt, wohin auch immer? Konnten sie irgendwann einmal zurückkehren? Und was würde dann geschehen? Gab es vielleicht einen Zusammenhang mit dem Abissalen?
    »Ist noch immer keine Übersetzung der Xurr-Symbole gelungen?«, fragte Lidia im letzten Ausstellungssaal, obwohl sie die Antwort bereits kannte.
    »Nein«, erwiderte die Drohne. »Allerdings wird derzeit versucht, einzelne Symbolgruppen mit bestimmten Objekten zu assoziieren, wobei die Forscher statistische Maßstäbe anlegen …«
    Je öfter man gewisse Symbole an gewissen Gegenständen fand, umso höher war die Wahrscheinlichkeit, einen Bedeutungszusammenhang herstellen zu können – das behaupteten jedenfalls die archäologischen Statisten. Lidia blieb skeptisch, allein auf der Grundlage der Überlegung, dass nicht alle Objekte über die Jahrtausende hinweg gleich gut erhalten blieben. Die Forscher befassten sich nicht mit einem repräsentativen Querschnitt von Artefakten, sondern mit einer von Zeit, Erosion, Verwitterung und Zerfall vorgenommenen Auswahl, bei der die Instrumente der Statistik ihrer Meinung nach nur begrenzt zum Einsatz kommen konnten.
    »Ich brauche dich nicht mehr«, sagte Lidia schließlich, und die kleine Drohne schwirrte fort. Sie hätte das Museum durch den Ausgang des letzten Saals verlassen können, aber stattdessen kehrte sie auf dem Weg zurück, den sie gekommen war. Ihr Blick glitt noch einmal über die vielen Ausstellungsstücke und pseudorealen Bilder der Fundstellen auf Corhin, und sie stellte sich vor, welche Rolle jene Objekte einmal im Leben der Xurr gespielt hatten. Erneut sah sie das Bild von Angar Ruthmann und murmelte: »Diesen Weg hätte ich ebenfalls beschreiten können, wenn ich damals mein Studium fortgesetzt hätte und nicht Kantaki-Pilotin geworden wäre.« Sie lauschte der sonderbaren Stille im Museum, schien auf eine Antwort zu warten, die natürlich nicht kam. »Aber dann wäre ich heute echte hundertfünfundvierzig Jahre alt oder vielleicht tot. Und es gibt noch so viel zu sehen, so viel zu entdecken, so viel zu bestaunen.« Diese Worte hatten nichts von ihrer einstigen Bedeutung verloren, waren inzwischen aber zu einer Art Mantra geworden, das Lidia an die Perspektive erinnerte, aus der sie die Welt, das Universum, sehen sollte.
    Schließlich trat sie nach draußen, in den Sonnenschein, der so gar nicht zur leeren Stadt und den militärischen Patrouillen passen wollte. Er glitzerte auf dem Scharlachroten Meer, und Lidia dachte an einen anderen Ozean, ans Meer der Zeit, in dem auch der Krieg zwischen Konsortium und Allianz nur ein kleiner Tropfen war. Sie selbst stand an seinem Ufer, so wie sie auch am Ufer des Zeitstroms stand, dazu imstande, alles zu sehen,

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